Mit welchen Formen von Abschied und Verlust werden Kinder und Jugendliche konfrontiert? Dies kann sein: ein Wohnorts- oder Schulwechsel; Freunde oder Freundinnen, die wegziehen; die Scheidung oder Trennung der Eltern; eine Krankheit, ein Unfall oder eine Sucht im Beziehungsnetz, die die Personen verändert; der Tod von Haustieren; die Geburt von Geschwistern; der Tod von nahen Beziehungspersonen…

Solche Abschiede lösen eine Trauer aus, d.h. einen normalen, gesunden und notwendigen Prozess, der hilft, den Verlust und den Abschied zu verarbeiten. Die Trauer ist eine unmittelbare psychische Reaktion, die nicht verdrängt werden darf. Sie ist eine Ausdrucksform, ein Gefühl, das zum Leben gehört.

Verluste können je nach Betroffenheit eine tiefgehende Krise auslösen, die ausreichend Zeit benötigt, in der das Abschiednehmen, das Hindurchgehen durch den Schmerz und das Neuausrichten des Lebens zentral sind. Wichtig ist es, den Verlust anzuerkennen und den Prozess der Trauer zuzulassen, die der Verlust mit sich bringt, um schliesslich in eine neue Beziehung zum Verlorenen bzw. zur Person einzutreten.

Im Folgenden beschränken wir uns auf Todesfälle und dort gilt: Der Tod beendet das Leben meines geliebten Menschen, nicht aber meine Liebe zu ihm (R. Kachler).

Trauernde Kinder und Jugendliche haben das Bedürfnis, aber auch das Recht,

  • um einen geliebten Menschen zu trauern;
  • ihre Trauer auf eigene Weise auszudrücken (Sprachlosigkeit, weinen, klagen…), die aber auch sprunghaft sein kann, denn Freud und Leid liegen bei Kindern nahe beieinander und schützen sie vor Überforderung;
  • zu trauern, auch wenn andere meinen, sie sollten darüber hinweg sein – Trauer kann immer wieder durch Worte, Erlebnisse, Erinnerungsorte usw. an die Oberfläche kommen;
  • jederzeit an ihren verstorbenen geliebten Menschen zu denken;
  • von anderen Mitgefühl zu erwarten, weil jene eines Tages in der gleichen Lage sein werden…

Ausgehend von den Erfahrungen von Elisabeth Kübler-Ross mit Sterbenden, haben Verena Kast und andere Phasen des Trauerprozesses beschrieben. Gewisse Korrekturen brachten Kerstin Lammer, die für eine aktivere Rolle der trauernden Person plädiert und Ruthmarijke Smeding, die von «Gezeiten der Trauer» spricht – hier sei auf die entsprechende Literatur verwiesen.

Doch gehen wir nun speziell auf die Situation von Kindern und Jugendlichen ein. Je nach Alter und Entwicklungsstand haben Kinder bzw. Jugendliche unterschiedliche Vorstellungen vom Tod. Entwicklungspsychologen benennen ein stufenweises Entdecken von vier Dimensionen des Todesverständnisses:

  1. Irreversibilität: der Tod ist endgültig
  2. Universalität: jeder Mensch muss irgendwann sterben
  3. Non-Funktionalität: alle notwendigen Körperfunktionen haben aufgehört
  4. Kausalität: Verständnis der Todesursache

5-7 Jährige

Nach der Phase des magischen Denkens bei kleinen Kindern erfassen etwa 5-7Jährige die Endgültigkeit des Todes. Allerdings gilt es bei Kindern festzuhalten, dass die zeitliche Entwicklung immer relativ, d.h. sehr individuell und in unterschiedlichem Tempo verlaufen kann. Die kindliche Erkenntnis von der Endgültigkeit des Totseins löst eine erhöhte Angst aus vor dem Verlust lieber Menschen, insbesondere der Eltern.

8-10 Jährige

Kinder akzeptieren nun, dass jeder Mensch einmal sterben muss (Universalität). Zudem lernen sie, dass bei toten Menschen keine Bewegung und keine Funktionen des Körpers mehr möglich sind (Non-Funktionali­tät): nicht mehr atmen, essen, fühlen… Gedanklich beginnen sie, nicht nur das Alter einer Person, sondern vor allem Krankheit oder Unfall mit dem Tod zu verknüpfen (Kausalität).

10-12 Jährige

Ab dem 10.-12. Lebensjahr nähert sich das Todesverständnis dem der Erwachsenen. Sie machen sich Vorstellungen vom Jenseits – denn in diesem Alter entwickeln sie die Fähigkeit, abstrakt zu denken.

Jugendliche

Mit dem kognitiv-logischen Denkvermögen begreifen sie die ganze Tragweite, was der Tod bedeutet. Ihre Vorstellungen vom Tod entsprechen zunächst jenen Erwachsener, auch wenn sie emotional oft atypisch reagieren. Später entwickeln sie eigene Vorstellungen und Phantasien – verbunden mit Auflehnung, wieder Anpassung, dann Zynismus… Diese persönliche Auseinandersetzung schafft die Basis, eigene Vorstellungen vom Tod zu entwickeln.

Bei ihrer Identitätssuche spielt die Frage nach dem Sinn des Lebens eine zentrale Rolle und ist verbunden mit verschiedenen Fragen rund um den Tod, auch dem eigenen. Das Erkennen der eigenen Endlich- und Sterblichkeit kann Ängste vor Krankheit und Schmerzen auslösen – wie etwa vor der Frage, was nach dem Tod geschieht. Oft werden diese Fragen angesichts des eigenen Unbehagens sowohl in rauen Tönen als auch in skeptisch-sachlichen Darlegungen formuliert.

Die Situation der Trauernden wie auch die Begleitung ist je nach Todesform unterschiedlich:

Tod durch Krankheit: Dies bedeutet meist einen längeren Weg des Abschiednehmens und Loslassens. Trotzdem stirbt die Hoffnung auf Genesung oft erst endgültig mit dem Tod. Die Unwiderruflichkeit des kommenden Todes kann neben Gefühlen von Erleichterung und den Gedanken an Erlösung von schweren Leiden noch einmal zu einer Krise führen.

Zur Begleitung: → Wichtig beim Tod durch Krankheit ist, diese Ambivalenz anzuerkennen und die Trauernden von möglichen Selbstvorwürfen zu befreien, z.B. dass sie zu Lebzeiten zu wenig Zeit für die kranke Person hatten.

Tod durch Unfall: Hier ist der Tod immer überraschend, die Person wird mitten aus dem Leben gerissen – es kann nicht in Ruhe und vorbereitet Abschied genommen werden. Es bleibt Offenes, Unausgesprochenes, Konflikte… z.B. bei der letzten Begegnung. Zudem meldet sich die Frage „Warum?” und auch vergebene Chancen oder der Gedanke daran, was noch alles gemeinsam geplant war, machen es besonders schwer, den Tod zu akzeptieren.

Zur Begleitung: → Wichtig ist hier die sachliche Information zum Todeshergang sowie viel Geduld mit wiederkehrenden Fragen und auftretenden Gefühlen wie Wut, Ärger und Enttäuschung, auch über Ungesagtes, Zurückgebliebenes.

Tod durch Suizid: Er hinterlässt quälende Fragen des Warum und Schuldgefühle bei den Hinterbliebenen, Anzeichen nicht erkannt zu haben, zu wenig Zeit für die/den Verstorbenen gehabt zu haben oder mit dem eigenen Handeln zur Suizidentscheidung beigetragen zu haben. Dabei kann die Trauer zwischen Wut und Schuldgefühlen oft verborgen bleiben. – Achtung: Gerade bei Jugendlichen besteht die Gefahr der Nachahmung!

Zur Begleitung: → Mögliche Fragen und Unsicherheiten ansprechen und das Thema enttabuisieren. Den Jugendlichen vermitteln, dass es immer einen Weg aus Krisensituationen gibt oder dass sie externe Hilfe in Form von psychologischen Beratungsstellen, Seelsorge, Hotlines u.ä. in Anspruch nehmen können. Für Begleiter ist es wichtig, die Frage «Warum» auszuhalten (dies auch noch Monate nach dem Tod) und einzugestehen, dass es keine zufriedenstellende Antwort gibt.

Tod eines Elternteils: Dies ist ein Schock und ein das weitere Leben prägender Verlust – denn sie verlieren eine zentrale Bezugsperson. Zudem bricht das bisherige Familiensystem zusammen und Familienrollen müssen neu aufgeteilt werden. Der hinterbliebene Elternteil ist mit der eigenen Trauer und Neuorganisation beschäftigt und hat öfters für die Kinder wenig Zeit und Aufmerksamkeit – so dass diese sich doppelt verlassen und allein fühlen. Manche Jugendlichen meinen, die Rolle der Ersatzpartnerin/des Ersatzpartners übernehmen zu müssen. Dies ist jedoch nicht ihre Rolle und überfordert sie. Wenn sie keine Trauer zeigen, so um den hinterbliebenen Elternteil nicht zusätzlich zu belasten. Sie spielen nach aussen «die Starken». Auch der pubertäre Ablösungsprozess wird durch einen Todesfall erschwert, um so den Elternteil nicht allein zu lassen.

Zur Begleitung: → Wichtig beim Tod eines Elternteils ist, den Jugendlichen Orte und Zeiten zu geben, an denen sie ungestört trauern dürfen. Wichtig sind auch weitere nahe Bezugspersonen in der ersten Zeit, und es gilt, sie auch vom Gedanken zu entlasten, das Familiensystem aufrechterhalten zu müssen.

Tod von Geschwistern: Er ist ebenso einschneidend wie der Verlust eines Elternteils. Oft sind die Eltern in ihrer eigenen Trauer nicht mehr in der Lage, dem lebenden Kind genügend Aufmerksamkeit zu schenken, was zum Gefühl eines doppelten Verlustes führen kann. Zudem ändert sich die Geschwisterposition und damit die bisherige Rolle. – Viele quält die Frage: «Warum musste sie/er sterben und nicht ich?». Bei Konflikten können zudem Schuldgefühle auftreten. Manche Eltern richten nach dem Tod eines Kindes ihre ganze Aufmerksamkeit auf die lebenden Kinder und erschweren dadurch den natürlichen Ablösungsprozess.

Zur Begleitung: → Wichtig ist es, den Kindern die ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken, nach ihrem eigenen Befinden zu fragen und ihnen entlastende Freizeitangebote (z.B. Lager) sowie eine soziale Bezugsgruppe (Vereine…) anzubieten.

Tod von Freund/-innen: Für Jugendliche ist die Peergroup (Gruppe von Gleichaltrigen) eine wichtige soziale Kontaktgruppe für Austausch über Probleme, Erfahrungen, Fragen und Geheimnisse… Daher ist der Verlust einer nahen Freundin / eines nahen Freundes schwer zu verkraften.

Zur Begleitung: → Wichtig ist es, die Jugendlichen zu stärken, für sie da zu sein, aber auch die Peergroup für sich allein zu lassen und ihnen ihre eigenen Bewältigungsstrategien zuzugestehen.

Zum Schluss:

Das Abschiednehmen ist ein Auf- und Ab. Eine Berg- und Talfahrt – mit innerer Ambivalenz zwischen Auflehnung und Bejahung. Vieles, was nicht mehr ist und geht, darf betrauert werden. Es ist wichtig, dass die Trauernden die verstorbene Person angemessen verabschieden und würdigen, sich mit ihr versöhnen und ihrer Dankbarkeit Ausdruck geben können. In einem Wandlungsprozess darf die verstorbene Person zur inneren, begleitenden Gestalt werden. Schliesslich gilt es, die jungen Menschen zu ermutigen, sich wieder dem Leben zuzuwenden, wieder neuen Sinn und Inhalt zu finden und Gefühle in Neues und in kommende Beziehungen zu investieren.

Es ist uns bewusst, dass die gemachten Hinweise sehr komprimiert daherkommen. Es sollen Impulse sein, sich weiter in die Thematik zu vertiefen, eigene Erfahrungen zu reflektieren und zu einer positiv unterstützenden Begleitung zu ermutigen.