1969, vor genau fünfzig Jahren, trat definitiv die aus den Vorgaben des Zweiten Vatikanischen Konzils erarbeitete neue Ordnung der Messe, der sogenannten Messordo, in Kraft. Vieles, sehr vieles war in diesen Jahren neu und aufregend für Priester wie Laien (so z.B. die Ausrichtung des Priesters zur Gemeinde hin oder die Erlaubnis der Volkssprache in der Eucharistie). Eine ganz wichtige Änderung aber haben viele gar nicht recht bemerkt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sie in den Rubriken versteckt ist, also in den rot gedruckten Anweisungen des Messbuchs, die ordnen, wie was zu tun ist. Und diese werden selbstverständlich nicht vorgelesen.

Der eigentliche Beginn

Was nun war das Besondere? Es liegt in der Beschreibung des Anfangs in dieser neuen Ordnung der Messe. Die vorher 500 Jahre lang gültige Messordnung begann mit dem Satz: „Der Priester tritt, wenn er bereit ist, zum Altar und macht dort die dem Altar gebührende Ehrerweisung…“ Der neue Messordo beginnt nun seit 50 Jahren: „Die Gemeinde versammelt sich.“. Es ist zunächst einmal bemerkenswert, dass das erste Wort der neuen Ordnung nicht mehr „der Priester“ lautet, sondern „die Gemeinde“ (in der lateinischen Fassung „populus“, „das Volk [Gottes]“, also die Kirche). In unserem Zusammenhang ist aber noch wichtiger, dass die Messe (und eigentlich auch jeder andere Gottesdienst) nicht mit dem Einzug des Priesters oder der Vorsteherin der Wort-Gottes-Feier oder des Vorbereitungsteams der Kinderfeier beginnt, sondern damit, dass Menschen sich versammeln, um Gottesdienst zu feiern. Das ist ein riesengrosser Unterschied zum Gottesdienstverständnis, das über Jahrhunderte in der Kirche herrschte (nach dem allein der Priester der eigentliche Zelebrant des Gottesdienstes war und die Gemeinde eigentlich keine Rolle spielte), und gleichzeitig eine Rückkehr zu uralten Überzeugungen, die letztlich auf Jesus zurückgehen („Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ Mt 18,20).

Zuallererst Singen

Wenn es nun so ist, dass mit dem Zusammenkommen, dem Sich-Versammeln, der Gottesdienst eigentlich schon beginnt, muss das auch Konsequenzen für die Art und Weise unseres Feierns haben. Eine Konsequenz zeigt die Messordnung selbst schon auf: „Während des Einzugs wird der Gesang zur Eröffnung gesungen.“ Es gibt kaum etwas, das Einzelne derart zu einer Gemeinschaft „sammeln“ kann, wie gemeinsames Singen. Wir kommen als Individuen mit unterschiedlichen Erfahrungen, Erlebnissen, Haltungen und aus verschiedenen Kontexten und Situationen in den konkreten Gottesdienst. Der gemeinsame Gesang kann wunderbar helfen, daraus eine erlebbare Gemeinde werden zu lassen. So sieht das Messbuch vor, dass das Erste im Gottesdienst, nachdem die Gemeinde zusammengekommen ist, weder das Kreuzzeichen noch die Begrüssung durch die Verantwortlichen ist, sondern ein gemeinsames Lied, bei dem möglichst alle mitsingen können (was bei der Auswahl des Gesangs zur Eröffnung bedacht werden sollte). Diese vorgeschlagene Praxis stellt die gewohnte Abfolge in vielen deutschsprachigen Schweizer Gemeinden in Frage, nach der meist erst nach der (liturgischen) Begrüssung durch den Vorsteher oder die Vorsteherin das erste Lied gesungen wird.

Gute Licht- und Musikregie, von Anfang an

Eine weitere Konsequenz könnte sein, dass die Kirche schon vor dem Einzug erhellt ist und nicht erst der Gottesdienstvorsteher oder die Gottesdienstvorsteherin das Licht „mitbringt“, indem der Sakristan oder die Sakristanin das Licht pünktlich zum Glockenschlag einschaltet. In diesem Zusammenhang muss eigentlich auch das in vielen Kirchen übliche Läuten mit einem Signalglöckchen zum Beginn des Einzugs als problematisch angesehen werden. Beides vermittelt den Eindruck, dass der Gottesdienst erst mit dem Erscheinen des Priesters oder sonstiger Dienste beginnt. Eine dritte Möglichkeit, die Versammlung als allmählichen Beginn des Gottesdienstes erfahrbar zu machen, wäre, dass die Orgel oder andere Instrumente schon einige Minuten vor dem eigentlichen Einzug erklingen und ruhig hinführen zum Eröffnungslied.

Ein neuer liturgischer Dienst, extra für den Anfang

Eine vierte Möglichkeit ist, dass – noch vor der offiziellen liturgischen Begrüssung der ganzen Gemeinde – Menschen am Eingang der Kirche stehen, die die Ankommenden begrüssen, indem sie ihnen mit einem freundlichen Lächeln das Gesangbuch oder einen Liedzettel übergeben. In einer deutschen Kathedrale habe ich erlebt, wie mir zur Begrüssung ein Gefäss mit Weihwasser gereicht wurde. In den USA sind solche „Greeters“ in den meisten Gemeinden etabliert, und es wird viel Wert auf eine gute Ausbildung für diesen ehrenamtlichen Dienst gelegt. Sie sollen und können freundlich und gleichzeitig dezent helfen, dass die Ankommenden zu einer Versammlung werden. In einem Gottesdienst mit Kinderbeteiligung können auch Kinder einen solchen Dienst übernehmen, z.B. indem sie Liedzettel verteilen oder kleine Zettelchen mit einem Wort der Begrüssung und der Information, welche Gruppe diesen konkreten Gottesdienst mit vorbereitet hat und gestalten wird.

Aufmerksame Wortwahl

Wenn der Gottesdienst, wie wir gesehen haben, schon mit der Versammlung der Gemeinde beginnt, macht es keinen Sinn, ihn nochmals zu beginnen, etwa mit Formulierungen wie: „Wir beginnen diesen Gottesdienst im Namen des Vaters…“ (besser: „Wir sind hier versammelt im Namen des Vaters…“) oder „Wir singen zu Beginn des Lied…“ (besser das Lied schon vor der Begrüssung ohne Ansage zum Einzug singen; der Liedanzeiger zeigt die Nummer zuverlässig an) oder „Bevor wir diese Feier beginnen, besinnen wir uns …“ (mit dieser Besinnung sind wir schon mitten in der Feier).

Worauf es ankommt

Seit 50 Jahren steht die oben genannte kleine Rubrik über den Anfang der Messe verbindlich im Messbuch. Die Wenigsten sind sich ihrer Bedeutung bewusst. Ist der erste Eindruck im Gottesdienst der, dass „der oder die da vorne“ jetzt eine Show bieten, oder ist er der, dass wir alle jetzt Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer gemeinsamen Feier sind? Die oben genannten Konsequenzen oder Möglichkeiten werden sich nicht überall durchsetzen lassen. Es muss auch nicht jede Gemeinde auf das Glöckchen beim Einzug verzichten oder gleich als Beginn ein Lied singen. Aber es wäre wichtig, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass die Feier schon mit dem Ankommen beginnt. Es ist gut, dass es eine Schwelle gibt zwischen dem Alltag und dem Gottesdienst, zwischen unseren vielen Beschäftigungen und dieser ausdrücklichen Zeit der Gottesbegegnung, im Wort, in Brot und Wein, in anderen heilvollen Gesten und Zeichen. Man sollte über diese Schwelle nicht eilig stolpern. Man darf sie aber auch nicht durch unbedachte rituelle Gestaltung künstlich erhöhen oder verbreitern. Die Gestaltung des Gottesdienstes sollte vielmehr beim sorgsamen und bewussten Überschreiten dieser Schwelle helfen. Und dabei ist die Besinnung auf die Bedeutung der Versammlung der Gemeinde hilfreich, egal ob in einer Messe mit Erwachsenen, einer Feier mit Kindern oder einem Gottesdienst mit allen!