Vom 2001 verstorbenen Liturgiewissenschaftler Balthasar Fischer ist der Ausspruch überliefert: „Fürbitten stehen nicht in Büchern, sondern in der Zeitung!“ Für Gottesdienste mit Beteiligung von Kindern oder Jugendlichen könnte man hinzufügen: Fürbitten stehen eigentlich auch nicht in Familiengottesdienstmodellen aus Werkbüchern oder religionspädagogischen Materialsammlungen im Internet. Fürbitten entstehen beim wachen und sorgenden Blick auf die Welt, die uns umgibt – und die Zeitungslektüre kann diesen Blick schärfen. In den Fürbitten treten wir stellvertretend für Menschen in Not vor Gott, um in ihrer Sache Gott zu bitten. In der Allgemeinen Einführung in das Messbuch heisst es, dass wir mit diesem Beten für alle unser „priesterliches Amt“ ausüben. Das gilt für die ganze Gemeinde, auch für die Kinder oder Jugendlichen, die in besonderen Gottesdiensten die Fürbitten vorbereiten und vortragen und damit eine wunderbare Gelegenheit der tätigen Teilnahme nutzen. Es lohnt sich also, dieses Element des Gottesdienstes, das seit frühester Zeit im christlichen Gottesdienst belegt ist, genauer zu betrachten. Im Folgenden finden Sie einige Gedanken zum Sinn der Fürbitten und Tipps für ihre Gestaltung, nicht zuletzt in der religionspädagogischen Praxis:

Für-BITTEN

Fürbitten sind, wie der Name schon sagt, Bitten, Gebet, Sprechen zu Gott. Eine Besinnung auf diese scheinbar banale Wahrheit ist fundamental und führt zu einer Haltung, die wichtig ist sowohl beim Entscheid, für was wir beten als auch wie wir beten. Wenn Fürbitten nämlich Sprechen zu Gott ist, dann sind sie nicht versteckte moralische Aufforderung an die Adresse der Hörerinnen und Hörer (z.B. „Lass uns endlich erkennen, dass wir uns gegen die Armut engagieren müssen.“). Und sie sind auch nicht Vertiefung und Erkenntnissicherung der vorangegangenen Predigt (auch wenn ihre Bitten selbstverständlich von ihr inspiriert sein können). Eine Besinnung darauf, dass die Fürbitten Sprechen zu Gott ist, verhindert vielleicht auch die eine oder andere banale oder irrelevante Bitte, die nur deshalb formuliert wird, weil man nun einmal noch eine Bitte braucht. Das wäre des Empfängers unserer Bitte, des grossen und unbegreiflichen Gottes, in dessen Händen das All ruht, nicht würdig. Gleichzeitig gilt aber auch, dass keine wirkliche Sorge so unbedeutend ist, dass sie nicht Gott hingehalten werden kann. Aber die entscheidenden Fragen in der Vorbereitung der Fürbitten lauten: Will ich Gott wirklich darum bitten? Und will ich die Gemeinde dazu auffordern, mit mir Gott darum zu bitten?

FÜR–Bitten

Weiter sagt der Name Fürbitten, dass es nicht einfach Gebet ist, sondern Gebet für jemanden. In der Allgemeinden Einführung in das Messbuch heisst es, dass in den Fürbitten für die Anliegen der Kirche, für die Regierenden und das Heil der ganzen Welt, für alle von verschiedener Not Bedrückten, für die Ortsgemeinde“ (AEM Nr. 46) gebetet werden soll (die Liste ist biblisch inspiriert; vgl. 1 Tim 2,1-2). Damit sind mögliche Anliegen genannt, die dann konkretisiert werden müssen. Aus dieser Aufzählung kann aber auch herausgelesen werden, dass die betende Gemeinde nicht in erster Linie für sich selbst betet. Plakativ könnte gesagt werden: Es handelt sich um FÜR-Bitten, nicht um UNS-Bitten (Michael Kunzler). In einer kirchenpädagogischen Annäherung an den Gottesdienst könnte man zu den Fürbitten mit Kindern auf den Kirchturm steigen: Fürbitten sind der Moment im Gottesdienst, in dem wir über den eigenen Tellerrand, die eigene Pfarrei, das eigene Dorf hinausschauen und mit der Not der Menschen der ganzen Welt vor Gott stehen und für sie beten.

Nicht unbedingt UM- und DASS-Bitten

Wir alle kennen die typischen Fürbitten um etwas oder dass Gott doch dies und jenes tun möge. Aber schon in frühester Zeit machten Christinnen und Christen die Erfahrung, dass es gar nicht so einfach ist zu wissen, um was man beten soll. Es kann beim Formulieren von Fürbitten, auch mit Kindern und Jugendlichen, sehr hilfreich sein, sich darauf zu besinnen, dass wir wohl für jemanden beten, dessen Not uns betroffen macht. Wir müssen aber Gott nicht sagen, was er konkret tun muss. Eine Bitte, die nur das Anliegen nennt („Wir beten für die Menschen in …, die Opfer eines schweren Erdbebens geworden sind.“) und danach eine kurze Gebetsstille hält, ist oft ehrlicher als die Ausformulierung einer konkreten Lösung, die wir manchmal gar nicht kennen. „Denn wir wissen nicht, was wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit unaussprechlichen Seufzern.“ (Röm 8,26b)

Fürbitten: Gebet DER GLÄUBIGEN

Als das Zweite Vatikanische Konzil die Wiedereinführung der Fürbitten als Element des Gottesdienstes forderte, nannte es sie: Gebet der Gläubigen. Die Fürbitten sind also nicht Gebet des Priesters, der Gemeindeleiterin, der Religionspädagogin oder des Katecheten. Wenn Kinder oder Jugendliche diese Bitten vortragen, dann sollten es ihre Gebete sein. Niemand weiss besser, welche Sorgen um andere Menschen Kinder oder Jugendliche beschäftigen als diese Kinder oder Jugendlichen selber. Es kann manchmal richtig peinlich sein, wenn Kinder Fürbitten vorlesen, bei denen man sicher ist, dass dies nicht ihre Anliegen sind und vermutet, dass sie diese noch nicht einmal verstanden haben. Deshalb ist es wichtig, dass sie z.B. in Familiengottesdiensten nicht nur Fürbitten vortragen, sondern sie auch verfassen. Es kann eine Chance sein, im Religionsunterricht Fürbitten für einen kommenden Gottesdienst vorzubereiten, ausgehend von einer Besinnung, bei der gemeinsam überlegt wird, für wen gebetet werden soll, wer unsere Solidarität braucht, wem wir in Empathie verbunden sind. Und mit älteren Jugendlichen kann es spannend sein, nach dem Gottesbild zu fragen, das hinter einer Bitte steht.

In Gottesdiensten mit Kindern und Jugendlichen können Fürbitten auch spontan formuliert werden. Eine einfache Form davon ist, statt ausformulierter Fürbitten die Gottesdienstteilnehmenden einzuladen, einfach nur den Namen der Person zu nennen, für die sie zum Gebet einladen wollen – mit anschliessender Stille. Mit älteren Kindern oder Jugendlichen ist das sehr gut möglich.

Damit das Gebet das Gebet aller Gläubigen wird, ist der Gebetsruf sehr wichtig. Hier gibt es viele Alternativen zum üblichen „Wir bitten dich, erhöre uns“. Warum nicht häufiger den Gebetsruf singen? Dazu eignen sich verschiedenste Rufe und Kehrverse aus dem Kirchengesangbuch oder aus dem riseup+ (z.B. KG 489, KG 385,3, ru+ 120, ru+ 190,3 statt „meine Angst“ „mein Gebet“), aber auch manche Refrains aus Liedern (z.B. „Erbarm dich unser, heilger Gott“ aus KG 558), Kanons (z.B. ru+ 199) oder Taizé-Gesänge (z.B. KG 188, KG 418).

Ort der Fürbitten

Schliesslich soll in diesem Beitrag noch etwas in den Blick genommen werden, über das im Zusammenhang mit den Fürbitten kaum gesprochen wird: der Ort der Fürbitten. Dabei geht es einerseits um den Ort der Fürbitten im Ablauf des Gottesdienstes. Sie sind meist vorgesehen nach der Schriftverkündigung. Damit haben sie einen Antwortcharakter: Aufgrund des eben in den Lesungen und der Predigt Gehörten werden wir uns unserer Verantwortung in der Welt bewusst. Das muss uns zum Handeln und Beten treiben. Handeln ohne Beten ist zu wenig, denn wir allein werden die Herausforderungen angesichts der Not in der Welt nicht bewältigen können. Beten ohne Handeln ist aber auch zu wenig, denn wir können Gott nicht einfach die Verantwortung wieder zurückgeben, in die er uns durch sein Wort nimmt.

Der gewöhnliche Ort der Fürbitten im Kirchenraum ist der Ambo, also der Ort der Schriftverkündigung. Auch so wird deutlich gemacht, dass die Fürbitten eine Form der Antwort auf das Gehörte sind. Der Ort der Fürbitten könnte aber auch der Mittelgang mit Ausrichtung zum Altar sein – und dafür soll abschliessend plädiert werden. Dazu braucht es ein tragbares Mikrofon. Mit dieser Gebetsorientierung wird körperlich ausgedrückt, was am Anfang gesagt wurde: Fürbitten sind Bitten, sind Gebet, sind Sprechen mit Gott. Es geht bei den Fürbitten nicht um die Vorbeter oder Vorbeterinnen, nicht um die Kinder und Jugendlichen. Und Adressat der Fürbitten ist nicht die Gemeinde. Gott wird angesprochen – und dies muss nicht, aber kann aus dem Kirchenschiff/dem Mittelgang geschehen. Die Symbolkraft dieser ungewohnten, aber an manchen Orten erprobten Praxis wird von vielen als sehr stark empfunden. Versuchen Sie es einmal!

Zum Weiterlesen

Liborius O. Lumma, Für-Bitten. Verstehen – verfassen – vortragen, Innsbruck 2018 (eine Art „Grundkurs des Fürbittenschreibens“ mit historischen und theologischen Hinweisen, vielen praktischen Hilfen und adaptierbaren Beispielen; eine kleine Besprechung des Buches finden Sie hier.)