„Und Gott sprach”, das ist ein Grundwort im Alten Testament. Und er sprach zu Abraham oder Mose, zu Jesaja oder Jeremia und manchem anderen. Zwischen Jesus und dem Gott, den er Abba nannte, scheint es auch ein intensives Gespräch gegeben zu haben, wenn Jesus sich an einen einsamen Ort zurückzog zum Beispiel. In den langen Jahrhunderten der christlichen Geschichte haben immer wieder einzelne bezeugt, dass sie seine Stimme hörten. Mal unmittelbar, mal als Stimme im Herzen. Spricht er heute noch? Spricht er zu uns, auch wenn wir nicht Mose sind, oder einer der Heiligen, oder gar Jesus? Hat er überhaupt eine Stimme oder ist das nicht die überschwänglich-unglaubwürdige Sichtweise einer vormodernen (Glaubens-)Welt?

Vom Stimmen hören in der Liturgie

„Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet euer Herz nicht” (Psalm 95,7f), heisst es am Morgen zu Beginn der Tagzeitenliturgie. Offensichtlich geht die Liturgie also davon aus, dass der Dialog zwischen Gott und den Menschen nicht abgeschlossen ist: Seine Stimme bleibt hörbar; unsere Antwort ist gefordert, indem wir unser Herz nicht im Verstummen oder in Untätigkeit einkapseln. Wo hören wir diese Stimme, die nicht tönt wie ein Donner oder ein Säuseln aus dem Himmel?

Im kirchlichen Morgengebet folgen unter anderem weitere Psalmen und eine Lesung. „Wort des lebendigen Gottes” heisst es nach der Lesung der Messe oder der Wortgottesfeier. Die Verkündigung aus den Schriften der Bibel wird damit als ein hervorragender Ort für das Hören seiner Stimme identifiziert. In dieser langen Geschichte zwischen Gott und Menschen, die in den biblischen Büchern erzählt wird, ist er nicht nur der Sprechende, sondern ebenso und entscheidend der Handelnde. In der Schöpfung wie in geschichtlichen Ereignissen erkannte das Volk Israel einen Gott, der mit ihm ist – auch wenn die Propheten das Volk zuweilen an seinen Part in der Beziehung mahnend erinnern oder wenn Jesus den Menschen seiner Zeit die Nähe Gottes neu zusagen musste. Gottes Dienst an den Menschen hat vielfältige Erscheinungsformen: in Worten, Zeichen, Handlungen. Er geht mit.

Wie damals – so auch heute

Dieses Handeln Gottes geht weiter, nicht nur in der Liturgie, aber gerade auch dort. In der Verkündigung aus der Heiligen Schrift und im sakramentalen Handeln verändert er die Wirklichkeit von Einzelnen in gemeinschaftlicher Versammlung im Hinblick auf eine neue Schöpfung für alle. Daran sind viele beteiligt: An erster Stelle natürlich der Allerhöchste – Gott, der sich in der Geschichte Israels gezeigt und in Jesus allen Menschen zugewendet hat, der Heilige Geist mit seiner Kraft, Menschen zum Glauben zu führen, an die vergangenen Worte und Taten so lebendig zu erinnern, dass sie uns hier und heute ergreifen. Die Engel auch und Maria mit der Schar der Heiligen. Dann aber auch alle, die sich für Gottes Dienst an den Menschen zur Verfügung stellen, indem sie mit ihrer menschlichen Stimme seine Worte verkünden oder in ihrem menschlichen Handeln Raum geben für sein Tun an uns – Bischöfe, Priester und Diakone, alle Frauen und Männer im kirchlichen Dienst und in ehrenamtlichen Aufgaben.

Wort ruft nach Antwort

Die Antwort auf seine Stimme und sein Handeln an den Menschen hat im gottesdienstlichen Handeln viele Klänge. Hier sind alle gerufen, jene, die schon genannt wurden, aber ebenso Kinder, Jugendliche, erwachsene Frauen wie Männer, Senioren, Kirchenfans und Kirchenferne, Ordensleute und alle Christinnen und Christen. Sie leben Gottesdienst als Dienst an Gott und vor ihm zusammen mit allen, die schon bei Gott sind, also ganz besonders in der Gemeinschaft mit Christus. Die Liturgie stellt ihnen viele Möglichkeiten für eine Antwort bereit, Formen, in denen die Feiernden mitgehen können: Indem sie Gott danken, ihn preisen und loben – besonders in Psalmen, Hymnen und Liedern –, sich zu ihm bekennen, anbeten, ihn für andere bitten, an ihn appellieren, auch: klagen und mit Nachdruck an die Zusage seines Mit-Seins auf unseren Wegen erinnern. Weil dieser Gott nicht welt-fremd ist und die Liturgie auch nicht. Aber sie knüpft an alte, scheinbar längst überholte Geschichten an. Weil sie nämlich die Beziehung oder den Dialog zwischen Gott und den Menschen hier und heute fortsetzt.

Liturgie und Leben

Wahrscheinlich verwandelt nichts so sehr die Menschen wie die Beziehungsgeschichten, in die sie verwickelt sind. Die haben Folgen. Gelingt es, lebendig in den liturgischen Dialog einzutreten, so wird das wahrscheinlich – und hoffentlich! – das alltägliche Leben jeder Einzelnen und jedes Einzelnen verändern und verwandeln. Auch hier oder besonders hier gilt: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet nicht euer Herz.” Hier seine Stimme zu hören in kurzen oder intensiven Begegnungen mit vertrauten Menschen und mit Fremden, in Entscheidungssituationen und anderen Herausforderungen, erfordert natürlich ein sensibles und waches Ohr. Und das jeden Tag, lässt sich doch diese Beziehung genau genommen nicht auf ein sonntägliches oder gar feiertägliches Meeting beschränken. Die Liturgie wird schliesslich zum Gottesdienst des Lebens, zum Gottes-Dienst des Alltags. ‚Geht also und nehmt den Frieden Gottes tief hinein in euer aller Leben’, so könnte man den Schlussruf der Messe einmal etwas frei wiedergeben.