Veränderungen des Religionsunterrichts

Die zunehmende Durchmischung verschiedener religiöser und kultureller Bezüge in unserem Alltag hat dazu geführt, dass sich eine ehemals einigermassen geschlossene Glaubenspraxis weitgehend aufgelöst hat. Christ*innen sind manchmal im Zazen oder im Hatha Yoga genauso verwurzelt, wie die Generationen vor uns im Rosenkranzgebet. In der Folge kommen auch die Kinder und Jugendlichen mit unterschiedlichsten Bildern und Erfahrungen aus dem Elternhaus zu uns in den Religionsunterricht.

Seit der manchenorts sogenannten «Christenlehre» als konfessionellem Religionsunterricht noch vor einigen Jahrzehnten hat sich vieles geändert. In der Deutschschweiz findet die religiöse Bildung in den verschiedenen Kantonen unterschiedlich gelagert statt. Kantone wie Zürich oder Bern haben (fast) keinen konfessionellen RU am Lernort Schule. In Kantonen wie Luzern oder Uri gehört der konfessionelle RU zur Stundentafel. In einigen Kantonen wie dem Thurgau gibt es inzwischen auch Versuche mit einem islamischen RU am Lernort Schule. Alle diese Unterschiede gibt es auch nach der Einführung des Lehrplans 21 und den darin enthaltenen Bereichen Ethik, Religionen und Gemeinschaft. Diese Heterogenität ist gleichzeitig Chance wie Herausforderung – es gilt sie wahrzunehmen und zu gestalten.

Das Ende der universellen Normen

Heutzutage stellen wir fest, dass es keine einer universellen Norm entsprechende religiöse Sozialisierung mehr gibt, die an eine religiöse Gemeinschaft heranführt. Konversionen sind – trotz der unterschiedlichen und breit akzeptierten Möglichkeiten innerhalb einer Religionsgemeinschaft – ebenso normal geworden wie eine familiäre Weitergabe oder die Entscheidung, das Leben ohne eine gemeinschaftlich-religiöse Anbindung zu gestalten.

Eine Chance des Lernens in und aus der Vielfalt ist es, dass auch der eigenen Religion sowie den eigenen religiösen Wurzeln ganz anders begegnet werden kann. Kinder und Jugendliche lassen sich vermehrt auch auf ihre eigene Religion und Konfession in einer Offenheit und mit einem Interesse ein, die man etwas Neuem und «Exotischem» gegenüber aufbringt.

Dass dies nicht nur eine Schwierigkeit, sondern eine Ressource darstellt, ist eine Grundüberzeugung des transreligiösen Lernens. Religiosität stellt ein fundamentales Vermögen des Menschen dar und soll gefördert werden, damit individuelle Zugänge und Erfahrungen in unterschiedlichen Kontexten möglich sind. Diese Zugänge beschränken sich dabei nicht auf die traditionellen (oder neuen) kirchlichen Angebote, sondern finden ebenso im privaten Umfeld, im Freundeskreis oder im öffentlichen Raum statt.

Dabei geht das transreligiöse Lernen davon aus, dass es keine überkulturell verfasste Form von Religiosität gibt, dass also Religion immer nur mit einer konkreten Kultur verwoben wahrgenommen werden kann, ja, letztendlich sogar immer nur individuell ausgeprägt sein kann. So etwas wie «das Christentum» oder «den Islam» kann es also gar nicht geben. In einer globalisierten Welt ist gelebte Religion, ist gelebter Glaube, ausschliesslich als religiös-kulturell-säkulares Konglomerat erfahrbar.

Von «den Anderen» lernen

Notwendig für das religiöse Lehren und Lernen ist die fundamentale Ausrichtung auf die Schüler*innen, auf ihre persönliche Lebenswelt und die konkrete gesellschaftliche und familiäre Religionskultur. Ein transreligiöser Religionsunterricht fokussiert in seiner Konsequenz immer auf das Kind bzw. die/den Jugendliche*n in ihrer/seiner Beziehungshaftigkeit zu Gott, den anderen Menschen, der Schöpfung und ist «learning from religion». Gelernt wird in einem konfessionellen Setting von der eignen – sowie auch von anderen – Religion(en), bzw. in einem religionskundlichen Setting von (verschiedenen einzelnen) Religionen generell.

Die transreligiöse Didaktik ist sowohl an kirchliche wie auch an staatliche Ziele und Konzepte ausgerichtet und hebt die Stärken und Chancen der betreffenden Aspekte hervor. Darüber hinaus ist dieser Ansatz sogar für säkulare oder atheistische Überzeugungen anschlussfähig, denn: «Die Weisheit der Religionen gehört der gesamten Menschheit […]. Religionen sind insgesamt gesehen zu nützlich, effektiv und intelligent, um sie allein den Gläubigen zu überlassen.» (Alain de Botton)

Es geht in der Folge jedoch nicht darum, den kirchlichen Religionsunterricht neu auszurichten oder die Ausbildung der Katechet*innen grundlegend anzupassen. Vielmehr eignen sich die didaktischen Überlegungen eines transreligiösen Lernens dazu, Vorhandenes und Bewährtes zu reflektieren, weiterzuentwickeln und zu profilieren. Darüber hinaus werden besonders auch die Verbindungen zwischen dem Lehrplan Religionsunterricht und Katechese und dem Lehrplan der Volksschule augenfällig und gestärkt.

Allen, die sich auf diesen spannenden und nachhaltigen Weg des religiösen Lehrens und Lernens machen: Viel Erfolg und gutes Gelingen!