Gebildeter Glaube

«Das Christentum ist eines gewiss nicht: eine Religion nur für die Gebildeten. Aber es ist eine Religion, die auf Bildung setzt. Es setzt darauf, dass Menschen vom Glauben überzeugt werden», betont Thomas Söding zu Recht (vgl. Söding, Das Christentum als Bildungsreligion). In einer offenen Wissensgesellschaft, in der Ansprüche nicht mehr durch Konvention und Tradition, sondern nur durch Argumentation eingelöst werden können, wird eine nur traditionsbestimmte Religions- bzw. Kirchenmitgliedschaft fraglich.

Der Glaube hängt gewiss nicht von der Intelligenz ab. Aber er gibt zu denken, sucht nach Einsicht und Verstehen. Glaube kann man nicht anerziehen, doch gerade weil er auf freie Zustimmung setzt, passt er zu einer Bildungsidee, die Selbstbestimmung in den Mittelpunkt stellt, verdeutlicht Söding: «Man wird nicht gebildet, wie Ton von einem Töpfer geformt wird, sondern bildet sich, wie ein Sportler seine Form findet.»

Schwerpunktverlagerung

In der Diskussion um Gemeindekirche und -katechese hat Monika Jakobs herausgestellt, dass die erhoffte Verlebendigung von Kirche nur zum Teil eingelöst wurde. Das Gemeinschaftsideal aktiver Beteiligung und dauerhafter Beheimatung in der Pfarrfamilie stehe quer zum gesellschaftlichen Trend einer Loslösung von vorgegebenen Einbindungen und überfordert die Menschen.

Ein Teil der Distanzierung von Kirche sei aber «auch auf die nur spärlich angebotenen Entwicklungsmöglichkeiten über den Kinderglauben hinaus» (vgl. Monika Jakobs, Der Traum von Gemeinde in der Gemeindekatechese) zurückzuführen, was «zum theologisch Anspruchsvollsten gehört, was es im Bereich der Katechese gibt». Gilt es doch einen Glauben zu ermöglichen, «der sich in den Herausforderungen eines Erwachsenenlebens tragfähig erweist. Also kann Katechese nie einfach nur belehren, sondern muss auch zuhören und Ressourcen eröffnen.»

Eine Schlüsselbedeutung für die persönliche, selbstbestimmte Aneignung der christlichen Glaubens- und Erfahrungstradition hat die im Leitbild «Katechese im Kulturwandel» bereits 2007 geforderte Verstärkung der religiösen Bildung Erwachsener, was eine Schwerpunktverlagerung gegenüber und neben der Katechese mit Kindern und Jugendlichen bedeutet: «In Zukunft sind besonders für Erwachsene entsprechende Angebote aufzubauen.» (Leitsatz 6) Der Übergang von Pfarreien zu grösseren Seelsorgeeinheiten mit stärkerer überpfarreilicher Planung, Koordination und Zusammenarbeit bietet hier grosse Chancen zur professionellen Profilbildung.

Such- und Entdeckungswege bahnen

«Viele haben ihre Bindung an die kirchlichen Institutionen gelockert, sind aber dabei nicht einfach religionslos geworden», beobachtet der Pastoraltheologe Stefan Knobloch (vgl. Knobloch, Wesentlich werden!). Er konstatiert weniger einen Glaubens- oder Gottesverlust als eine neue, ungewohnte Lebens- und Glaubenssuche.

Heutige Religiosität trägt individuellere Züge und pluralisiert sich in einer Vielfalt von Glaubensstilen, die vor noch nicht allzu langer Zeit so nur schwer vorstellbar gewesen wäre. Sie begegne heute vor allem im Gewand der Sinnsuche: einer neuen Aufmerksamkeit für Spiritualität und der Suche nach einem sinnvoll gestalteten, gedeihlichen Leben. Religionssoziologen sprechen von einer Verschiebung des Religiösen ins Innere. Menschen können in ihrem biografischen Lebenstext demnach weiterhin nach Transzendenz suchen, auch wenn die Begriffe «Gott» und «Glaube» ausdrücklich nicht vorkommen.

Das aber heisst: Dass sich die Erlebens- und Erfahrungsebene der Menschen immer weniger mit der überkommenen kirchlich vermittelten Lebensdeutung deckt, bedeutet gerade nicht, dass sie sich jeglichen religiös-spirituellen Potentials entledigt hätten.

Einen massgeblichen Grund der gefühlten Bedeutungslosigkeit des tradierten Glaubens sieht Knobloch in der zu geringen Anbindung an zeitgenössische kulturelle Parameter, die das Leben heute bestimmen. Im besten Sinne mystagogisch gelte es in den Brennpunkten des Lebens, in den biografisch bedeutsamen Ereignissen, Bedürfnissen und Wünschen der Menschen unserer Zeit die Absichten Gottes wahrzunehmen (vgl. dazu Bitter, Katechese als Such- und Entdeckungsweg): „Das Evangelium liegt nicht wie in Stein gemeisselt ein für alle Mal vor! Es muss in unseren Händen geformt werden. Es schreit danach, innerhalb unserer heutigen kulturellen Parameter neu erschlossen werden.“

Erwachsenwerden im Glauben

Wenn es Bildung um Kompetenz und Kenntnis geht, um den Mut, sich seines eigenen Verstandes ohne Anleitung anderer zu bedienen, wie Thomas Söding mit Immanuel Kant betont (wobei er ebenso Demut fordert, sich von anderen korrigieren zu lassen), muss kirchliche Bildungsarbeit einen reflektierten Zugang zur Ur-Kunde christlichen Glaubens eröffnen. Um aus der Bibel und mit ihr ein Leben im Glauben zu führen, sind Menschen zu befähigen, «kritisch die Bibel lesen zu können, nicht einer formalen Autorität hörig zu sein, sondern selbständig zu beurteilen, was Offenbarung sein soll, aber sich auch informieren, anleiten und motivieren zu lassen, nicht allein, sondern in der grossen Lesegemeinde der Bibel.»

Bibelwissenschaft schade dem Glauben nicht, ist der Neutestamentler überzeugt, sie ermögliche vielmehr im Glauben zu reifen, sich neuen Perspektiven und tieferen Fragen zu öffnen. Etwa dass die biblischen Schöpfungserzählungen kein naiver Versuch einer naturwissenschaftlichen Erklärung der Weltentstehung sind, sondern dass Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie mithin keine Gegensätze bilden (vgl. Friedrich Schweitzer, Schöpfungsglaube – nur für Kinder?).

Mündigkeit, Pluralitätsfähigkeit

Im religiös-weltanschaulichen Pluralismus von heute erfordert Mündigkeit als Globalziel zeitgemässer (Erwachsenen-) Bildung (siehe Bergold/Boschki, Einführung in die religiöse Erwachsenenbildung 60f.) (selbst-) kritische Urteils-, Unterscheidungs- und Dialogfähigkeit, mit einem Wort: Pluralitätskompetenz, gerade darin bewährt sich reife Religiosität. Dazu ist es unerlässlich, den Mehrwert, das alternativlos Besondere christlichen Glaubens neu lesbar und plausibel zu machen.

Gewiss wäre schon viel erreicht, wenn Menschen neu sprachfähig werden für Religiös-Spirituelles. Zugleich ist ein Verständnis von Theologie stark zu machen, das den Bildungshunger nicht mit fertigen Antworten stillstellt, sondern auf selbständiges Denken und Wachsen im Glauben zielt. Dabei empfiehlt sich die Ausrichtung an einer Theologie von, mit und für Erwachsene, die (wie das Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen) bewusst bei der Wahrnehmung und Wertschätzung der Theologie von Erwachsenen ansetzt, diese als selber denkende und sich in Glaubensfragen selbständig orientierende Subjekte ernst nimmt (vgl. Schweitzer, Erwachsene als Theologen?).

Kirche und Katechese im Wandel

Gemeindekatechese kann nicht länger von der kontinuierlichen «Betreuung» von der Wiege bis zur Bahre ausgehen, vielmehr gilt es diskontinuierliche Glaubenswege wahrzunehmen und zu begleiten. Referenzpunkt ist nicht einfach die kirchliche Gemeinschaft, sondern die jeweilige Biografie.

Inspirierend ist der von Christiane Bundschuh-Schramm stark gemachte Blickwechsel von einer integrierenden zu einer impulsgebenden Pastoral auf meinen Blog Gemeindekatechese: Nicht integrieren, Impulse setzen!: «Die grosse Mehrheit der Gläubigen widersetzt sich den pastoralen Hereinforderungen und gemeinschaftsbezogenen Vereinnahmungsversuchen und sucht die rituelle Lebensbegleitungskirche.»(siehe Schrappe, Seelsorge im Plural – Kirche auf dem Markt). Umso mehr ist es wert zu schätzen, dass bei (familien-) biographischen Gelegenheiten kirchliche Angebote lebensbedeutsam werden!

Nicht zuletzt die Kirchenkrise verstärkt für Stefan Jürgens die Notwendigkeit erwachsenen Glaubens: «Wer nur den gängigen Kirchenjargon nachplappert und liturgische Formeln lieblos herunterbetet, trägt zur weiteren Infantilisierung des Gottesvolkes bei. Es gibt viele pastorale Mitarbeiter und geweihte Amtsträger, die zwar fromm reden, aber selbst im Glauben nicht gereift sind. Mein Eindruck ist, dass die katholische Kirche gerade deshalb so reformunfähig ist, weil viele ihrer leitenden Persönlichkeiten ängstlich statt mutig, müde statt vital, kindlich statt erwachsen sind, mehr Kirchenmuttersöhnchen als Männer des Glaubens. Solange Frauen von Weiheämtern ausgeschlossen sind, werden die leitenden Männer allein aufgrund ihrer wagenburgartigen Selbstbezüglichkeit nicht reif. Die aktuelle Reformdebatte zeigt, dass die Kirche als Ganze erwachsen werden muss.»