Von Beruf: Gott

Gott-sein ist ein Beruf. So wie jedes Land eine*n König*in, jeder Verein eine*n Präsident*in, jedes Schulfach eine*n Lehrer*in, jede Abteilung eines Spitals eine*n Stationsärzt*in und jede Firma eine*n Chef*in hat, so hat im Alten Orient jedes Dorf, jede Stadt, jedes Handwerk, jeder Berg und jede Region einen Gott. Gott ist also ein Beruf mit diversen Aufgaben. Dazu gehört, für die ihm anvertraute Region oder Menschen zu sorgen, dort Ordnung zu halten, zu richten und zu strafen, beizustehen, Nahrung und Wohlergehen zu geben und als Lohn dafür Anbetung, Opfer, Räucherwerk und Dank zu erhalten. Diesen Beruf Gott, hebräisch el, üben viele aus, männliche und weibliche Wesen haben diesen Beruf.

Das hebräische EL ist bekannt als Element von sprechenden Namen. Das findet sich z. B. im Namen Michael, mi-ka-EL = «Wer ist wie Gott?».

Sein Name: JHWH

Jede Person hat einen Namen. Mit diesem Namen ist sie einzigartig. Mit diesem Namen kann eine Person in ihrer Individualität mit anderen Personen in Beziehung treten. Wer bei einem ersten Kennenlernen dem Gegenüber seinen Namen verrät, beginnt damit eine Beziehung. Mit dem Namen wird man für andere offen und transparent, aber auch verletzlich und verfügbar, er gibt  anderen eine gewisse Macht; das weiss jede Lehrperson, die Kinder mit ihren Namen anspricht.

Alle Berufstätigen haben neben ihrer Funktionsbezeichnung in ihrem Beruf immer auch einen Namen als Person. So ist das auch bei Gottheiten. Auch sie haben Namen: Re, Ma’at, Marduk, Isis, Osiris, Baal, Aschera, Zeus, Jupiter. So nennt auch der Gott Israels in einer Begegnung mit Mose am Dornbusch (Ex 3) seinen Namen. Mose kann damit den Auftraggeber seiner neuen Aufgabe benennen. Gott nennt seinen Namen: JHWH, gesprochen wahrscheinlich Jahwe. Ein volksetymologisches Wort- und Buchstabenspiel mit dem hebräischen Verb HYH = «sein» erklärt, was dieser Name bedeutet: ICH BIN.

Damit hat der Gott Israels seinen Namen verraten, geht so mit diesem Volk eine Beziehung ein, ist nun für dieses Volk ansprechbar und verfügbar. Das Volk hat mit dem Namen eine gewisse Macht über Gott. Er übernimmt Verantwortung für das Volk. Mit der Deutung «ich bin, der ich bin» ist er der immerwährend Nahe; und mit der Deutung «ich bin der, wer immer ich sein will» ist er stets der ganz andere.

Abgekürzt wird JHWH – auch Gottheiten haben Kosenamen –JA oder JO. So kommt er im wohl bekanntesten Satzwort vor: Hallelu-ja – «Preist JHWH». Die Koseform gibt es auch als Element in Namen: Jo-hannan «JHWH erbarmt sich» oder Hannan-ja «es erbarmt sich JHWH».

Das Glaubensbekenntnis Israels lautet zunächst: JHWH ist Gott, d. h. es gibt einen Gott, der JHWH heisst. Wir finden es in der Bibel immer dann, wenn die beiden Wörter nebeneinander stehen: «JHWH, der Gott». Oder in Namen: Joël heisst: JO ist EL, also: JHWH ist Gott. Die Beziehung zu diesem Gott ist das Bekenntniss: JHWH ist unser Gott bzw. ist mein Gott. Das verkündet Elija in seinem Namen: EL-i JA (i bedeutet Hebräisch «mein»): «Mein Gott ist JHWH».

Titel und Eigenschaften: Was Gott bietet?

Jede Gottheit hat Titel und Eigenschaften. In der Erfahrung des Volks Israel haben sich viele Eigenschaften und Titel für diesen Gott, der mit Namen JHWH heisst, herausgebildet. Der Gott JHWH kann Hirt, König, Herr, Richter, Schöpfer sein. Seine Eigenschaften sind barmherzig, streng, eifersüchtig, heilig, liebend, lebensspendend, verzeihend, nahe, ewig, gegenwärtig, langmütig, erbarmend, nachtragend, bereuend, Regen spendend, fürsorglich, Nahrung gebend oder lebendig. All diese Titel und Eigenschaften – und es gibt noch viele mehr – kann man auch verwenden, um Gott anzusprechen. Das machen wir bis heute in jedem Gebet: Allmächtiger, Barmherziger, Heiliger, Ewiger, Verzeihender, Liebender sind typische Anreden, die in synagogalen und kirchlichen Gebeten geläufig sind. Auch im täglichen Leben reden wir Menschen oft mit ihrem Titel an.

Warum HERR?

In der Einheitsübersetzung (und in anderen deutschen Übersetzungen) tauchen an vielen Stellen die vier Grossbuchstaben «H» «E» «R» «R» auf, offensichtlich immer, wenn es um Gott geht. Was ist damit gemeint?

Immer, wenn in der Einheitsübersetzung HERR steht, steht in der hebräischen Bibel der Gottesname JHWH. Das ist eindeutig und kommt in der Bibel ca. 6’800 Mal so vor. Wichtig ist, beim Lesen des Ersten Testaments 6’800 Mal dran zu denken: Hinter den vier Buchstaben H-E-R-R steht der wunderbare Name JHWH mit all den schönen Gedanken, die oben zu seinem Namen gesagt wurden. Bei diesen vier Buchstaben an männlich oder an mächtig zu denken – beides steckt im deutschen Wort «Herr» drin – wäre falsch!

Warum verschwindet der schöne Namen JHWH?

Anfangs wurde der Name JHWH problemlos ausgesprochen, wahrscheinlich ungefähr «Jahwe». Das war der Name des Gottes Israels. Nach Ende des babylonischen Exils (ab ca. 520 v. Chr.) setzte sich in der Gruppe der Menschen, die in dieser Heiligen Schrift lasen, die Überzeugung durch, JHWH sei der einzige Gott. Nun, da es nur noch einen einzigen Gott gab, braucht man zur Unterscheidung von anderen Gottheiten nicht mehr seinen Namen. Es reichte «Gott» zu sagen oder einen seiner Titel zu nennen. In dieser Zeit setzte sich auch die Beachtung der Gebote der Tora immer mehr durch. Das Verbot aus dem Zehnwort «Du sollst den Namen JHWH, deines Gottes, nicht missbrauchen.» (Ex 20,7 = Dtn 5,11) wurde vermehrt so verstanden, den Namen JHWH nicht mehr auszusprechen. Damit gibt es ein Problem beim Vorlesen, denn Vorlesende müssen ja, wenn sie auf die vier Buchstaben des Namens JHWH treffen, irgendetwas sagen. Es wurde üblich, anstelle des Namens einen Titel oder eine Eigenschaft von JHWH zu nennen, was in jüdischen Gottesdiensten bis heute so gehandhabt wird und in christlichen Gottesdiensten sich immer noch nicht durchgesetzt hat. Einer dieser Titel ist adonai = Herr. Das wurde (leider) der übliche Titel als Ersatz für den Namen und viel später bereits in christlicher Zeit von den Masoreten im hebräischen Text mit einer kleinen Lesehilfe gekennzeichnet.

Diesen üblich gewordenen Ersatz für den Namen JHWH übernahmen im 3. Jh. v. Chr. manche der griechischen Übersetzungen der hebräischen Schriften. Einige liessen im Griechischen die hebräischen Buchstaben JHWH stehen, andere übertrugen den Titel adonai ins griechische Wort kyrios = Herr, lateinisch später dominus.

So entschied sich auch Martin Luther bei seiner Übertragung der hebräischen Bibel in den Jahren 1523-1535: Er überträgt statt des Namens den Ersatztitel adonai ins deutsche «Herr» und schreibt HERR, manchmal auch HErr. So schreibt auch die katholische Einheitsübersetzung in der Neufassung 2016 konsequent HERR.

Vielleicht wäre für uns heutige Leser*innen eine Lösung, wie sie die Bibel in gerechter Sprache (Gütersloh 2006) praktiziert, angebracht: Das auffällige HERR nur noch als Lesehilfe zu sehen, hierin den Namen JHWH zu erkennen und diesen als «Jahwe» oder in Respekt vor der jüdischen Tradition mit einem der Titelmöglichkeiten oder Eigenschaften dieses Gottes auszusprechen.