Bestandsaufnahme

Lange war es ruhig um das Thema Beichte. Offiziell ist alles klar: Seit Pius X. gilt die Regel, dass Kinder vor der Erstkommunion beichten müssen (so steht es auch im Kirchenrecht) und dann regelmässig (wöchentlich oder monatlich) beichten sollen. In Hirtenbriefen wird diese Praxis auch angemahnt.

Was aber wirklich geschieht, weiss niemand so recht. Im Rahmen unseres Bussmoduls im Aufbaustudium frage ich seit zehn Jahren die Studierenden nach der Praxis in ihren Pfarreien. Für mich ergibt sich folgendes Bild:

  • Die klassische Erstbeichte vor der Erstkommunion gibt es nur noch selten.
  • In ca. einem Drittel der Pfarreien findet nach der Erstkommunion ein Bussunterricht statt, der auf die Einzelbeichte bei einem Priester hinführt, oft verbunden mit einem Versöhnungsweg.
  • In den meisten Pfarreien finden Versöhnungswege statt. In diesem Rahmen finden wir oft auch ein Einzelgespräch mit einer Seelsorgeperson oder einer Katechetin.
  • Am Schluss des Versöhnungsweges gibt es manchmal Gottesdienste mit Generalabsolution durch einen Priester. Häufig sind auch sogenannte „deprekative“ Lossprechungsgebete durch Laien, manchmal gibt es auch eine persönliche Lossprechung mit Handauflegung im Rahmen des Gottesdienstes.
  • Lange war nach dem ersten Versöhnungsweg „Versöhnung“ kein Thema mehr in der Katechese. Ob Beichte oder Versöhnungsweg, es blieb eine Kinderangelegenheit.

In den letzten Jahren hat sich einiges getan: Zunehmend werden Versöhnungswege für Jugendliche und Erwachsene angeboten. Gebeichtet wird allerdings nur noch selten. Es gibt regional „Beichtpfarreien“ oder auch Klöster, die diese kultivieren.

Fazit: Nüchtern müssen wir feststellen, dass das klassische Konzept versagt.

Gebeichtet werden muss offiziell nur bei schweren Sünden. Damit diese dann aber auch gebeichtet werden, ist es wichtig, dass schon die Kinder dies üben, damit es ihnen als Erwachsene leichter fällt. Diese „Trainingsbeichte“ erfüllt ihren Zweck nicht mehr. Die Beichte ist zum Kindersakrament geworden. Ausgerechnet die Kinder, die kaum zur schweren Sünde fähig sind, wurden quasi zu stellvertretenden Büssern in unsern Pfarreien.

Neuentdeckung der Beichte

Wer die Literatur zum Thema studiert, stellt Erstaunliches fest: Beichte ist wieder ein Thema! – In der evangelischen Kirche in Deutschland. Die meisten Publikationen der letzten zehn Jahre stammen von evangelischen Theologinnen und Theologen. Katholische Publikationen finden sich selten. Eine Ausnahme: Vor ein paar Wochen haben der Wiener Moraltheologe Gunter Prüller und andere das Buch „Beichte neu entdecken. Ein ökumenisches Kompendium für die Praxis, Göttingen 2016“ herausgegeben. Was sofort auffällt: Wie bei den erwähnten evangelischen Publikationen ist die Kinderbeichte kein Thema. Es geht um die existentielle Lebensbeichte von Erwachsenen. Offensichtlich hat die evangelische Kirche – unbelastet von der Vergangenheit – etwas wieder entdeckt, was zumindest für die alte Kirche selbstverständlich war:

Beichte ist nichts für Kinder. Katholisch gesagt: Das Busssakrament ist ein Erwachsenensakrament.

Das müsste uns nachdenklich stimmen. Warum schaffen wir den Weg von der Kinderbeichte zur eigentlichen Beichte der Erwachsenen nicht mehr?

Ein Antwortversuch

Eine Antwort gibt mir Lawrence Kohlberg mit seinen sechs Stufen des moralischen Urteils. Diese sind zwar nicht unumstritten, aber zumindest für den westlichen Kulturkreis ist meines Erachtens einiges evident:

Kohlberg unterscheidet beim moralischen Urteil neben den sechs Stufen grundsätzlich zwischen drei Niveaus: Vorkonventionell – konventionell – postkonventionell. Das vorkonventionelle Niveau ist dadurch geprägt, dass die Handelnden sich nicht aufgrund von Einsicht, sondern aus Angst vor Strafe oder der Aussicht auf Belohnung für das Gute und Richtige entscheiden. Auf der konventionellen Stufe wird aus Überzeugung den Vorgaben von Autoritäten entsprochen. Erst auf der postkonventionellen Stufe findet dann der Übergang von der Heteronomie (Fremdbestimmung) zur Autonomie (Selbstbestimmung in Eigenverantworutng) statt. Damit sind wir de facto in einem Dilemma: Die Kinderbeichte findet meist auf dem vorkonventionellen Niveau statt. Diesem Niveau entspricht es auch, dass den Kindern in welcher Form auch immer ein Beichtspiegel als Hilfe angeboten werden muss, da sie nicht in der Lage sind, ihre Sünden selbst zu erkennen. Darum ist es eine gute Sache, wenn man an der Kinderbeichte festhalten will, dass man den Kindern eine „Sünden-Checkliste“ in die Hand gibt, die sie durcharbeiten können. Kinder sind fähig zu lernen, welche Sünden es gibt. Aber sie wissen nicht, was die Sünde ist. Diese schwere Beschädigung der eigenen Identität, die zu seelischem Leiden führt, ist ihnen in den meisten Fällen fremd. Das ist ein Problem von Erwachsenen. Wenn nun Kinder konditioniert werden, eine „vorkonventionelle Beichtpraxis“ einzuüben, wird ihnen diese mit zunehmendem Alter fremd, wenn nicht gar lächerlich erscheinen.

Vereinfacht gesagt, gibt es zwei Prototypen der Beichte:

Die heteronome, unmündige Kinderbeichte, in welcher der Beichtvater Seelenführer und Richter ist und die autonome, mündige Erwachsenenbeichte, in welcher eine Seelsorgerin oder ein Seelsorger nicht richtet, sondern zum neuen Start ermutigt aus dem Glauben an den gnädigen Gott.

Darum nochmals die kritische Frage zum Schluss: Hat nicht die Überkultivierung der Kinderbeichte die mündige Erwachsenenbeichte geradezu verhindert?

Noch Fragen?!

Welche ganz konkreten Probleme stellen sich in Ihrer katechetischen Arbeit mit dem Beichtsakrament? Ist die Zeit der Kinderbeichte passé? Welche Formen des Umgangs mit der Beichte können (wieder-)entdeckt werden? Diskutieren Sie mit!