(Mit-)Gestaltung ist Teil des Religionsunterrichts

Religionsunterricht ist immer schon ein Ort gewesen, in dem sich die Lernenden selbst auszudrücken vermochten, könnte man mit Blick auf den gegenwärtigen Unterrichtsstil annehmen. Das war jedoch nicht immer der Fall, denn bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts galten Lernende “als Adressaten einer zeitlos gültigen und unveränderlich feststehenden, in Katechismusformeln gegossenen Wahrheit” (Mendl 2015, 1.1). Heute geht man davon aus, dass Lernende sich selbst in Bezug zu den religiösen Fragestellungen setzen müssen und eine eigene Version der “Wahrheit” konstruieren. Die religiöse Wahrheitsfrage gestaltet sich etwa durch unterschiedliche Suchbewegungen, deren Einsichten und Perspektiven nicht nur kirchlichen Dogmen entspringen (vgl. u.a. Nord/Schlag 2017). Diese anthropologische Wende zeigt sich vor allem in zahlreichen religionsdidaktischen Prinzipien (z.B. Kinder- und Jugendtheologie, Genderorientierung, Medienweltorientierung etc.) deren große Klammer der Konstruktivismus darstellt, der die Lebenswirklichkeit der Lernenden in den Blick nimmt. Die Grundannahmen eines solchen didaktischen Lehr- und Lernsettings sind wie folgt:

  • Lernen vollzieht sich als aktiver Prozess des lernenden Subjekts.
  • Lernende bringen bereits Vorwissen und Einstellungen zu Lerngegenständen in den Unterricht mit.
  • Dabei darf man auch die Bedeutung der Emotionen beim Lernen – von der situativen Gestimmtheit bis zur affektiven Voreinstellung gegenüber den Lerngegenständen – nicht unterschätzen.
  • Lernprozesse sind im Verlauf und Ergebnis nicht völlig vorhersagbar, da sie von individuellen Konstruktionen geprägt sind; denn auch in sozialen Lernzusammenhängen erfolgt Lernen als individueller Prozess.
  • Lernen geschieht aber in Gruppen immer auch in der Auseinandersetzung mit den Konstruktionen anderer. So ergeben sich sozial geprägte Konstrukte von Wirklichkeit.
  • Lerninhalte können nicht 1:1 auf einen Lernenden übertragen und rekonstruiert werden; sie haben den Rang von „Perturbationen“, die im besten Fall zu einer konstruktiven Auseinandersetzung und eigenständig gestalteten Rekonstruktion führen, im schlechtesten Fall als unbedeutend ausgefiltert werden.
  • Lernen ist dann besonders produktiv, wenn man den Lernenden die Lerngegenstände in komplexen, anwendungsbezogenen Kontexten und Situationen darbietet, so dass sie diese dann auch als lebensbedeutsam erkennen können.
  • Von einer gehirnphysiologischen Warte aus geschieht nachhaltiges Lernen durch aktive Vernetzung, Vertiefung und mehrmaliger Wiederholung eines Konstrukts in neuen Kontexten, weil nur so der Prozess der Synapsenbildung angeregt werden kann.
  • Ziel eines Lernprozesses ist die Ausbildung individueller Lernlandschaften (Mendl 2015, 2.2)

Ein konstruktivistischer Religionsunterricht ist ein Raum, in dem Lernende ihre eigene Perspektive mit einbringen können und den Lernweg, die Methode, die Medien und sogar den Unterrichtsgegenstand verändern, aber auch mitgestalten. Gestaltet werden kann dieser durch unterschiedlichste Methoden, angefangen von allgemeingültigen, wie dem Brainstorming, Think-Pair-Share oder Placemate, bis hin zu vormals spezifisch religionspädagogischen Methoden, wie der Gestaltung von Bodenbildern, Kamishibais, Sandplay, Egli-Puppen und der Methodik des Theologisierens.

Minecraft bzw. Minetest kann ein Medium bzw. eine Methode darstellen, die sich an den Prinzipien eines konstruktivistischen Religionsunterrichts angelehnt, in dieser Reihe ergänzen lässt.

Was ist Minecraft bzw. Minetest?

Minecraft (bzw. die Freeware Version davon Minetest) ist ein Spiel, in dem sich die Spielenden in einer offenen Welt ungehindert bewegen können (sog. Open-World-Spiel). Sie sind nicht an feste Abfolgen gebunden, sondern können selbst entscheiden wann und wie sie die Welt erkunden. Innerhalb der dreidimensionalen Spielwelt, die hauptsächlich aus Blöcken besteht, stehen den Spielenden zahlreiche Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Wie der Name des Spiels bereits verrät, können Ressourcen abgebaut werden (eng. mining), um diese dann zu neuen Gegenständen weiterzuverarbeiten (engl. crafting) und mit ihnen Gebilde zu bauen. Die Ressourcen stellen dabei solche Blöcke dar, die in ihrer jeweiligen materiellen Eigenschaft entweder Erde, Holz oder verschiedene Erze sind. So können beispielsweise Häuser, Brücken oder Festungen kreiert und somit der Kreativität freien Lauf gelassen werden. Das schöpferische Gestalten der Minecraft Welt passiert vor allem im Kreativmodus des Spiels. Hier besitzen die Spielenden bereits alle Gegenstände und Rohstoffe und müssen diese nicht erst abbauen oder herstellen. Existentielle Probleme, wie die „Nahrungssuche, Rohstoffverwaltung, Erkundung, Landwirtschaft, Verteidigung, Hausbau, der Kontakt mit äußeren Einflüssen […] und der Kontakt mit den Avataren anderer SpielerInnen“ (Koller & Koller 2015, 159), müssen ausschließlich im Überlebensmodus bewältigt werden.

Ein Beispiel: Jahreskreis mit Schülerinnen und Schülern gestalten

Das Unterrichtsbeispiel orientiert sich am Lehrbereich 4 “Auszeiten und Feste” der 6. Klasse an Realschulen und behandelt mit Hilfe von Minecraft das Thema Jahreskreis. Die SchülerInnen gestalten einen Rundgang durchs Kirchenjahr und sind jeweils für eigene Stationen beziehungsweise Feiertage zuständig. In Sinne der Symboldidaktik sollen sich die Lernenden überlegen, welche Zeichen, Personen oder Symbole für ihren Feiertag typisch sind und diese in der virtuellen Welt nachbauen. Zum Ende der Einheit kann die Welt gemeinsam begangen werden, wodurch die SchülerInnen den Festkreis entdeckerisch erkunden können.

Stunde 1-2: Zunächst sollte Vorwissen abgerufen, eine grobe Übersicht über die Feiertage besprochen und Gruppen eingeteilt werden. Diese setzen sich anschließend mit ihrem Feiertag auseinander, sichten Material und konzipieren ihre Station.

Stunde 3-6: Die SchülerInnen machen sich mit dem Spiel vertraut (ca. eine Stunde) und bauen dann ihre Station entsprechend ihrem Entwurf nach.

Stunde 7-8: Den fertigen Rundgang kann die Klasse im Sinne eines Gallery Walks begehen und dabei die Ergebnisse auf einem Arbeitsblatt festhalten. Abschließend sollte eine gemeinsame Reflexion stattfinden.

Potenziale und Herausforderung der Integration digitaler Blöcke in religiöse Bildungsprozesse

Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Bereitstellung der notwendigen Infrastruktur für Minecraft (vgl. Minecraft Education Edition) bzw. Minetest eine der größten Herausforderungen, neben dem Zeitaspekt sein wird. So fallen zum einen für die Integration von Minecraft zunächst Softwarekosten an und zum anderen Kosten, die die hierfür benötigte Hardware betreffen. Eine kostenfreie Alternative stellt zwar Minetest dar, die Bereitstellung von Servern bedarf jedoch einer gewissen Einarbeitungszeit. Neben den finanziellen Aspekten muss die Frage nach der Effizienz überdacht werden. Eine Lerneinheit bei denen mit Blöcken gebaut wird, wird meist mehrere Stunden beanspruchen und bedarf zumindest in der Anfangsphase eine Zeit der Einarbeitung seitens Lernenden und Lehrenden.

Die großen Potenziale des Spiels liegen in der Förderung von Kreativität, der Erweiterung von sozialen Kompetenzen, durch das Kooperieren und gegenseitige Unterstützen unter den Mitlernenden, dem Spaß- und Motivationsfaktor sowie nicht zuletzt der ganz individuellen Perspektive der Lernenden. Sie beeinflussen maßgeblich die Mittel, die Planung und ihr Ergebnis.

Besonders motivationale Faktoren können innerhalb religiöser Bildungsprozesse eine wichtige Rolle spielen, wenn Mitlernende dem Religionsunterricht als “altbacken” mit einer ablehnenden oder negativen Haltung gegenüberstehen. Da sie durch einen neuen Lebensweltbezug dort abgeholt werden, wo ihre Interessen liegen, können religiöse Inhalte von einer neuen Seite kennengelernt werden. Denn: das Bauen mit Blöcken ist beliebt. So zeigt die JIM-Studie 2018 (MPFS 2018, 59), dass Minecraft eines der beliebtesten Spieletitel der Jugendlichen darstellt, wobei man gewisse Geschlechterunterschiede berücksichtigen muss).

Einen weiteren Aspekt zeigt die JIM-Studie auf: “57 Prozent besprechen beim Gamen persönliche Themen über Teamspeak” (MPFS 2018, 59). So gesehen sind es vielleicht auch gerade die Gespräche, die Handlungen und der Austausch, der “nebenbei” geschieht, welche die Perspektiven der Lernenden auf den Inhalt hin sichtbar machen – im Diskurs miteinander.

Wenn religiöser Bildungsarbeit dies gelingt, im Miteinander voneinander zu lernen, sei es beim Ausmalen von Mandalas oder dem Spielen von Minecraft, so zeigt sich doch in der Methode eine zusätzliche Lernchance. Das Bauen mit Blöcken macht nichts unbedingt Neues, es gibt dem Bestehenden vielleicht aber einen neuen Ort des Ausdrucks und vermag es motivierend zu wirken.