Erweiterung der physischen Realität durch virtuelle Overlays

Augmented Reality ist spätestens seit der im Sommer 2016 aufgetauchten Smartphone-Version des Kultspiels Pokémon GO oder ganz aktuell Harry Potter Wizards Unite bei Kindern- und Jugendlichen ein Begriff, der einem schon einmal begegnet sein könnte. Dabei wird in beiden Spielen das Smartphone genutzt, um Gegenstände und Personen in die physische Realität zu projizieren. Mit diesen kann dann über das Display interagiert werden (vgl. Abbildung 1).

Allgemein versteht man unter Augmented Reality „die Anreicherung der Realität durch künstliche virtuelle Inhalte.” (Broll, 2013, 241 f.; Hsieh & Lin, 2011)“ Dadurch kommt es zu einer Verschmelzung der Realität und Virtualität” (Broll, 2013, 242). Insbesondere steht hier nicht nur eine Erweiterung der visuellen Wahrnehmung im Zentrum, sondern alle Sinne können angesprochen werden:

“Augmentierte Realität ist eine (unmittelbare, interaktive und echtzeitfähige) Erweiterung der Wahrnehmung der realen Umgebung um virtuelle Inhalte (für beliebige Sinne), welche sich in ihrer Ausprägung und Anmutung soweit wie möglich an der Realität orientieren, so dass im Extremfall (so das gewollt ist) eine Unterscheidung zwischen realen und virtuellen (Sinnes-) Eindrücken nicht mehr möglich ist.” (Broll, 2013, 246).

Das bedeutet, dass zusätzlich zur Überlagerung mit zusätzlichen Informationen, eine Interaktionsform mit eben dieser Überlagerung selbst herbeigeführt werden kann (Höllerer & Feiner, 2004) und dadurch neue Formen der HCI (Human-Computer-Interaction) entstehen können (Ludwig & Reimann, 2005). Schnittstellen sind in der Auseinandersetzung mit computergestützter Kommunikation ein großes Thema, wovon AR eine darstellt. Deren Verwendung sollten für religiöse und ethische Kommunikations- und Erfahrungsprozesse exploriert werden, wofür nachgehend Ideen aufgezeigt werden.

Mögliche Potenziale für (religiöse) Bildungsprozesse

Erweiterte Realitäten (AR) lassen Räume außerhalb des Klassenzimmers erschließen und erschaffen in bestehenden physischen Räumen neue Kollaborations- und Kommunikationsräume (vgl. Donally, 2018, 10). Martín-Gutiérrez et al. (2016, 479 f.) benennen etwa als Vorteile dieser Erweiterungen physischer Umgebungen, dass Lernende mit Objekten interagieren können, die anders nicht verfügbar wären, keine besonderen Geräte mehr zur Verfügung stehen müssten und nicht zuletzt, einen konstruktivistischen Lernansatz begünstigen, indem Lernende frei mit den Objekten und Personen interagieren können. Gerade der Prozess der Gestaltung erweiterter Realitäten zeigt sich hier als äußerst vielversprechend, wenn Lernende bestehende Räume selbst mit virtuellen Schichten überziehen. Es gilt in Bildungsprozessen allgemein daher mindestens zwei Szenarien grundlegend zu unterscheiden: Zum einen die Konsumentenperspektive, bei der die Lernenden die Lernräume betreten und vorher definierte Arbeitsaufgaben erledigen und zum anderen die Produzentenperspektive, bei der die Lernenden die Lernräume selbst gestalten.

Ein aktuelles Beispiel aus der informellen Bildungsarbeit stellt die Anwendung „MauAR“ dar, welche die Mauer in der Nähe des ehemaligen Grenzstreifens wieder an ihrem originalen Standort „real“ werden lässt. Sie zeigt dabei, wie sich die Mauer aus einem bloßen Steinwall mit Stacheldraht versehen in eine drei Meter hohe Mauer mit Wachtürmen und dem „Todesstreifen“ entwickelt hat. Da gerade die jüngeren Generationen davon kaum eine Vorstellung haben, kann dieses Hilfsmittel ein Gefühl dessen vermitteln, was dies für die Menschen zur damaligen Zeit bedeutet haben muss. Vielleicht ist es auch ein Ansporn weitere historische als auch religiöse relevante Orte erfahrbar zu machen.

In einem weiteren Verständnis von Inklusion, ließen sich damit neuartige Lehr- und Lernszenarien entwerfen. Cascales-Martinez et al. (2017) betonen, dass immersive Technologien Lernende mit spezifischen körperlichen Einschränkungen (students with special needs (SEN)) besonders integrieren können, etwa, indem Texte vorgelesen werden oder Bilder erklärt werden.

Religionsdidaktische Implikationen

„Was wäre, wenn die Objekte sprechen könnten?“ ist eine Frage, die ich mir bei der Erkundung mir neuer Räume immer wieder gestellt habe. „Was würden sie mir erzählen?“. Durch eine Überlagerung der physischen Welt mit einer virtuellen Oberfläche wäre dies möglich. Objekte könnten dabei multimedial und interaktiv ihre Bestimmung erklären, Personen ihre Geschichten erzählen oder auch zum Gespräch einladen, indem sie Kommunikationsräume öffnen. Hier zeigt sich bereits, dass die Symboldidaktik und die Didaktik des Perspektivwechsels anschlussfähig wären und von der neuen Technologie profitieren könnten. Aber auch wenn es darum geht andere Religionen zu verstehen, könnten ganz im Sinne des interreligiösen Lernens Begegnungsräume geschaffen werden. Einerseits können religiöse Orte neu erfahren werden, indem die Orgel plötzlich anfängt für mich zu spielen, im Taufbecken die Taufhandlung anschaulich vollzogen wird, sogar aus dem Off-erklärt oder die Glocken virtuell zum Vater Unser läuten. Hier bilden sich für die Kirchenraumpädagogik neue Schnittstellen aus. Andererseits lassen sich in augenscheinlich nicht-religiösen Räumen, religiöse Begegnungsorte projizieren: Ein virtueller Kirchenrundgang auf dem Pausenhof. Religiöse Praxis kann durch AR anschaulich eingebracht werden, wenn das Arbeitsblatt durch das Smartphone zum Leben erweckt wird.

Ideensammlung

Ergebnisse der Sammlung können Sie hier einsehen

Technische Umsetzung – Hintergrund

Die vorgestellten Ideen sind mit einem Smartphone mit eingebauter Kamera und einem Internetzugang umsetzbar. Mit der Smartphone Kamera wird dabei ein Objekt fokussiert, welches in einer bestimmten Anwendung eine zuvor definierte Funktion auslöst.

Eine technische aufwändigere Alternative ist es mit anderen Auslösern zu arbeiten, wie etwa der GPS-Position, WLAN-Netzwerken oder Bluetooth-Sendern (sog. Beacons, am Beispiel von Bethel). Solche Auslöser kennt man von Google-Smartphones, die einem Fragen zu bestimmten Orten, die man besucht hat, stellt.

Ein simples Beispiel für die visuelle Methode ist dabei der QR-Code (Quick Response-Code), welcher mit Hilfe eines QR-Code-Scanners ausgelesen werden kann und Informationen freigibt, z.B. einen Link zu einer bestimmten Website. So ähnlich funktionieren auch komplexere Anwendungen, nur dass diese kein bestimmtes Code-Schema benötigen, sondern auch Bilder von Objekten ausreichen. Einige Zeitschriften bieten zusätzliche Inhalte an (z.B. das Magazin der AOK-Krankenkasse), wenn man etwas mit einer bestimmten APP eine spezifisch gestaltete Seite scannt. Somit können reale Objekte durch interaktive Inhalte, wie Videos oder Animationen, erweitert werden. Im Materialteil werden drei dieser Anwendungen vorgestellt, die unterschiedliche Ebenen der Technikintegration und Anforderungen bedienen: QR-Code Generator, HP Reveal und MergeCube. Eine professionelle Anwendung, wie die MauAR vermag einiges mehr an Arbeit. Ebenfalls könnte man Actionbound als eine AR-Anwendung hinzuziehen – über diese erscheint aber ein separater Artikel.