Wie vermutlich vielen anderen «Professionellen» auch, wird mir dies vor allem in Begegnungen ausserhalb des kirchlichen Milieus bewusst. Ich bin Christin, ich bin Katholikin: Das kann in Gesprächen durchaus ungesagt bleiben, schliesslich gehört Religion im gesellschaftlichen Smalltalk, genauso wie etwa Politik oder Krankheit, zu den erklärten Tabuthemen. Bei interessiertem Nachfragen nach meinem Beruf aber lässt sich nichts mehr verhehlen: Theologin. Unvermittelt ist Alarmbereitschaft spürbar: Religion! Kirche! Papst! Frauen! Fundamentalismus! Die unausgesprochenen Fragen dazu lauten: Was ist das für eine? Denkt sie eng, missionarisch, oder ist sie unproblematisch im Umgang? Im Moment ist es das Thema «Missbrauch» – sprachlich ungeschönt handelt es sich um Gewaltverbrechen, um nichts weniger -, welches mich unter Verdacht stellt: Wie kann man da noch mitmachen und nicht sofort austreten? Bedeutet dabeibleiben nicht, dieses System zu stützen?!

Meist gibt es keine direkten Angriffe. Nach anfänglicher Verlegenheit mit Themenwechsel wird «es» später dann doch noch angesprochen. «Früher habe ich auch ministriert» oder «ich bin ja zu Ordensschwestern in die Schule gegangen», «aber dann habe ich mich weiterentwickelt und von der Kirche distanziert.» «Ich glaube schon an etwas Höheres, aber die Religionen sind überholt.» Wiederkehrend auch die Feststellung, dass es ohne Religionen weniger Gewalt und Kriege gäbe … Dass eine ansonsten normal und vernünftig wirkende Frau einem gegenübersteht, die sich mit Religion und Kirche beschäftigt, löst etwas aus. Oft erklären mir Leute dann ihre eigene Weltanschauung oder Religiosität, wobei von atheistisch über esoterisch bis indifferent alles dabei ist. Es wird geltend gemacht, dass man sich emanzipiert habe, dass man gereift sei durch Nachdenken und Erfahrungen, wie sie gerade in der Kirche nicht zu finden seien. Es wird erklärt und ausgeführt, bis ich merke: Jetzt bin ich dran, jetzt wird meine Stellungnahme erwartet.

Wovon reden, wenn Gott in Frage steht?

Meiner Erfahrung nach lässt «die religiöse Frage» Menschen nicht kalt. Woher kommen wir, wohin gehen wir? Gibt es irgendetwas über oder ausserhalb der Welt, oder gibt es nichts? Bin ich in meinem Menschsein irgendwo verankert? Was ist der Sinn meines Daseins? Ein denkendes Wesen entkommt solchen Fragen nicht. Es ist fähig, über sich und die Welt hinauszudenken. Und es muss sich zu seiner eigenen Existenz irgendwie verhalten.

Gegenüber Religion und Kirche aber gibt es grosse Widerstände, wie auch gegenüber Gott selbst– oder gegenüber dem, was darunter verstanden wird. Es passiert mir unglaublich oft, dass Menschen einen Korb voller «Gegenargumente» haben, die mit negativen Erfahrungen, Frustration und Unverständnis verbunden sind. Aber auch naturwissenschaftliche Erkenntnisse und technologische Fortschritte werden ins Feld geführt. «Glaube» und «Vernunft» scheinen nichts miteinander zu tun zu haben, so die dezidiert religionskritische Haltung. Andere suchen mehr den gefühligen Rückzug in die Esoterik, wo alles viel freier und wahrer zu sein scheint.

Stehe ich nun also da und soll etwas Überzeugendes zu Gott, Glaube oder Christentum sagen, läuft innerlich alles auf Hochtouren. Ausweichen geht nicht: «Gott liebt sie sowieso alle, ob sie an ihn glauben oder nicht» und «soll doch jeder denken und glauben, was er will», wäre billig. Ein plakatives Bekenntnis andererseits würde ein echtes Gespräch verunmöglichen (aha, eben doch eng und missionarisch!). In meinem professionellen, fundamentaltheologischen «Werkzeugkoffer» gibt es einiges, was sich an Anstössen, Fragen und Argumenten ins Gespräch einbringen lässt. «Bekehren» im klassischen Sinn will ich nicht. Aber ja, etwas Sinnvolles sagen, das zum Weiterdenken anregt. Nicht so schnell aufgeben, wenn Widerstand kommt. Die Kirchenkritik wie eine kalte Dusche aushalten, im Wissen, dass es dieselbe Kirche ist, die mir viel gegeben hat, die mir Gott nahegebracht hat. Dieselbe auch, welche die Suche nach Wahrheit unterstützt – auch wenn immer wieder viel dagegen zu sprechen scheint.

Gott

Es geht um nichts, das simpel wäre. «Wir brauchen eine neue Sprache für Gott», wird seit Jahren aus verschiedenen Ecken der Theologie gefordert. Wenn ich aber vor einem Gegenüber stehe, das bereits alle möglichen «Haken» am Glauben und an Gott ausgemacht hat, dann ist klar, dass es um Sprache, um Artikulationsfähigkeit in einem umfassenden Sinn gehen muss. Sprachfähigkeit im Glauben beinhaltet wesentlich, sich in Begründungsfragen des Glaubens auszukennen; heute vermutlich mehr denn je.

Es geht um keinen alten Mann mit weissem Bart. Solche althergebrachten – aber erstaunlich hartnäckigen – Bilder von Gott kann man getrost hinter sich lassen. Religion ist nichts für Ewiggestrige, vom Leben leicht überforderte Menschen, die sich gerne hinter einer Institution verstecken, statt selber denken und Verantwortung übernehmen zu wollen. Gott ist auch nicht einfach die tröstliche Hypothese für die Armen und vom Leben Geschlagenen. Aber: Gott macht es uns, die wir von Gott reden – beruflich oder privat –, nicht leicht. Wir stehen letztlich selbst vor einem Geheimnis. Davon mehr im nächsten Blog.