Was ist eine gute Predigt, und was nicht? Wer ab und zu Predigten hört, kann darauf meist eine ziemlich klare Antwort geben. Die Vorstellung guter und weniger guter Predigten leitet bewusst oder unbewusst das eigene Verhalten. Dies gilt für regelmässig wie für gelegentlich Predigende.

Im Folgenden richte ich mich vor allem an Personen, die ab und zu predigen, sei es in Jugend- und Familiengottesdiensten oder auch in «normalen» Sonntagsgottesdiensten. Wer nicht in den Genuss einer vertieften homiletischen Ausbildung kommen konnte, lernt das Predigen im Tun, und vor allem durch Reflexion und Feedback. Dieser Beitrag will solches Lernen stützen, mit inhaltlichen und methodischen Hinweisen ergänzen und damit zu mehr Gestaltungsmöglichkeiten und Sicherheit beitragen.

Im besten Fall umfasst die Predigtpraxis drei Schritte: Vorbereitung, Durchführung und Reflexion. Ich werde die drei Schritte an zwei Modellen durchgehen: dem eher klassischen, an der Rhetorik orientierten Modell, und dem hier vereinfacht vorgestellten Modell der dramaturgischen Homiletik.

Predigtpraxis – rhetorisch

Was will ich wem, warum und wozu, wie, womit sagen? Diese Fragen beziehen sich auf Inhalt, AdressatInnen, Absicht und Ziel, Struktur sowie die sprachliche Form der Predigt. Sie zu klären, unterstützt das Verstehen zwischen Sprechenden und Hörenden. In diesem Verstehen kommt auch Gottes Geist ins Spiel, der die Arbeit an der Predigt von Anfang an begleitet.

Dementsprechend kann auch die Vorbereitung der Predigt entlang folgender Fragen gestaltet werden:

  1. Was ist der Anlass und Inhalt der Predigt? Steht ein besonderes Fest, ein Thema oder ein Bibeltext im Zentrum?
  2. Wer sind die AdressatInnen? Kinder, Jugendliche, eine bestimmte Gruppe, die Pfarreiangehörigen an einem Sonntag oder Feiertag?
  3. Was will ich diesen Hörenden mitgeben? Weshalb ist mir dies wichtig? Was ist das Ziel meiner Predigt?
  4. Wie soll die Predigt die Hörenden erreichen? Wodurch wird sie spannend? Stelle ich zu Beginn eine Frage oder steige ich mit einem Bibelvers oder einer provokativen Aussage ein? Was motiviert zum Hören und welche Pointe steht am Schluss? Steht beides in einem Zusammenhang?
  5. Welche Sprache dient dem Verstehen? Kurze Sätze; Verben; keine abgedroschenen Floskeln; Spannung aufbauen; konkret und anschaulich erzählen, evtl. mit einem überraschenden Bild; mit allen Sinnen und mit Gefühlen.

Oft können nicht alle Fragen im Voraus beantwortet werden. Manche schreiben zunächst einfach drauflos. Doch es lohnt sich, einen ersten Entwurf mit diesen Fragen zu überarbeiten. Das Ziel der Predigt sollte in einem Satz formuliert werden können. Eine Predigt kann z.B. herausfordern, zum Nachdenken anregen, bestärken, irritieren, erfreuen, zum Handeln bewegen, aufrütteln, (prophetische) Kritik anbringen, informieren, trösten… In jedem Fall so, dass die Predigerin, der Prediger damit Position bezieht und nicht autoritär für alle spricht («wir alle…»).

Der Predigtvortrag soll ebenfalls verständlich sein, also angemessen in Lautstärke und Tempo. Dazu sind im Voraus ein Besuch des Gottesdienstraumes, eine Mikrofonprobe und Überlegungen zum Predigtort (Ambo, frei im Raum stehend oder sich bewegend) unerlässlich. Auch die sprecherische Gestaltung der Predigt will geübt sein: Lautstärke, Tempo, Modulation mit der Stimme und Variationen bzw. Akzente innerhalb des Textes, wie auch die Körperhaltung und der Blickkontakt mit den Hörenden. Im Voraus ausprobieren lohnt sich.

Ein Kurs bei einem professionellen Sprechtrainer oder einer Schauspielerin können Sicherheit im Auftreten geben. Auch Feedback von Vertrauenspersonen mit konstruktiv-kritischen Rückmeldungen zu Inhalt, Form und Auftreten – u.U. unterstützt durch eine Video-Aufnahme – hilft sich zu verbessern.

Die Reflexion umfasst den ganzen Predigtprozess: von den Vorbereitungsschritten, dem Halten der Predigt und den Feedbacks bis hin zur Frage, wie ich mich selbst dabei erlebt habe. Wann fühlte ich mich gut? Was machte mir Mühe? Wo war ich sicher und wo unsicher? Daraus können neue persönliche Lernziele für weitere Predigten formuliert werden.

Predigtpraxis – dramaturgisch

Einen anderen Ansatz schlägt Martin Nicol vor. Er nennt ihn «dramaturgisch», weil er sich am Film orientiert. Eine Dramaturgie steckt schon im Bibeltext: Wer spricht? Welche Personen treten auf? Was tun sie? Gibt es verschiedene Szenen nebeneinander oder nacheinander? Wie sind die Übergänge gestaltet? Welches ist der «grosse Bogen» (das «Drehbuch»), in den sich die Szenen einfügen?

Die Predigt weniger als Rede, sondern vielmehr als Handlung gestaltet:

  • Titel & Mittel – Ein Haupttitel gibt das Thema an und bestimmt die Mittel der Gestaltung. Auch einzelne Szenen erhalten Titel, zu denen die entsprechende Form für diese Szene gewählt wird. Umgekehrt verweist ein Sprachmittel auf den Titel der Szene oder des Ganzen. Beispiele: Sprachbild, Erzählung, imaginärer Dialog, innerer Monolog, Argumentation, Assoziationen usw. (vgl. Nicol, 109)
  • Moves & Structure – Die Predigt wird in einzelne Szenen (moves) aufgeteilt, die alle in ein «Drehbuch» (structure) eingebunden sind. Die Vorbereitung wechselt immer wieder zwischen diesen beiden Ebenen. Übergänge zwischen den einzelnen Szenen werden bewusst gestaltet, sei es durch Schnitt, Regiebemerkung (z.B. «Szenenwechsel») oder allmähliches Überblenden (dissolve). (vgl. Nicol/Deeg, 104f)
  • Atelier – Die dramaturgische Predigt entsteht eher in einem Atelier als am Schreibtisch. Im Atelier entstehen Kunstwerke oft durch Versuche, Entwürfe, mit denen dann weitergearbeitet wird. Im Predigt-Atelier werden Texte und Bilder, Szenen aus dem Leben, Erinnerungen an Filme und Musik usw. gesammelt, auf Zetteln ausgelegt, zusammengefügt, neu angeordnet, auf spielerische Weise verbunden. «Arbeit im homiletischen Atelier – so oder so ähnlich mag es aussehen, wenn Predigt sich aufmacht, künstlerisch die Weltwirklichkeit Gottes zu erkunden.» (Nicol, 113)

Entscheidend ist auch, dass sich in der Predigt etwas ereignen kann. Letztlich unverfügbar, aber doch angestrebt als der Funke, der überspringt. Dazu gehört wesentlich, was Nicol «Reden im» nennt anstelle von «Reden über». «Reden im Bibelwort, im Handeln Gottes, im Beziehungsgeschehen von Predigerin und Gemeinde, im Hier und Jetzt der Situation […]. Eine solche Predigt versucht – sie versucht es zumindest, nicht über das Trösten zu reden, sondern zu trösten.» (Nicol, 55)

Predigt wird zum Ereignis auch durch den Vortrag (performance). Ein Ereignis lässt sich nicht machen. Zwischen redender und hörender Person geschieht etwas, bei dem eine weitere Dimension mit ins Spiel kommt. Predigt als Ereignis ist von Gottes Geist (mit)bestimmt. Auch wenn ein ausgeschriebenes Manuskript der Predigt zugrunde liegt, unterstützt möglichst freies Sprechen das Zuhören. Entlang von Markierungen im Text oder mit einem Stichwort-Zettel können die Sätze wieder frisch, und dann «mündlich» formuliert werden. (vgl. Nicol, 118-120)

Ob der Funke in der Predigt übergesprungen ist, kann auch bei der dramaturgischen Predigt nur mittels Feedbacks erfahren werden. Neben das Sprechen in der Predigt stellt sich das Reflektieren über die Predigt. Dazwischen steht die Rückmeldung, die begeistert oder enttäuscht von der Predigt erzählt. Damit vollzieht sich dann auch, was Nicol mit dem Titel seines Buches andeutet: «Einander ins Bild setzen».

Wo brennt mein Herz?

Es kommt nicht so sehr auf die Methode an, mit der eine Predigt gestaltet wird. Wesentlich daran beteiligt, ob der Funke überspringt, ist der Prediger, die Predigerin als Person. Wird diese spürbar? Zeigt sie sich mit ihren Fragen und Zweifeln, mit ihrem Suchen und Hoffen? Wird spürbar, wofür ihr Herz brennt?

«Die Worte brennen nach…» (Nicol, 133)