Sehnsucht nach der Zeit der Gerechtigkeit

Die Predigt vom Reich Gottes steht in der Mitte der jesuanischen Verkündigung. Sie geht nicht auf die damals verbreiteten Heilserwartungen ein, auf die Messiashoffnungen, die Sehnsucht nach dem »starken Mann«. Die Gottesherrschaft ist »schon und noch nicht«. Mit Jesus ist sie schon angebrochen. Das Reich Gottes kommt nicht nach dieser Weltzeit, sondern ist in ihr. Es gibt jedoch keine objektiven Zeichen für diesen neuen Äon. Die Verkündigung des Reiches Gottes widerspricht jeglichem apokalyptischen Dualismus und Determinismus. Die Menschen sind dazu aufgerufen, das Reich Gottes im Unscheinbaren wahrzunehmen und daran mitzuwirken. Die Vollendung aber liegt bei Gott. Die Gegenwart wird »zum Anfang der erhofften Vollendung« (Nocke 58). Jesu Verkündigung vom Reich Gottes nimmt die drängenden menschlichen Fragen auf: Heilung von Krankheit, Stillung von Hunger, soziale Akzeptanz und Gerechtigkeit – Probleme, deren Lösung damals wie heute verzweifelt fern ist. Schon die Geduld der frühen Christen wurde auf eine harte Probe gestellt: Die Wiederkunft Christi blieb Generation um Generation aus. So ist bereits innerhalb des Neuen Testamentes das Bemühen um Korrelation zwischen Erfahrung und Verheißung zu beobachten. Lukas interpretiert die ausbleibende Parusie mit dem Konzept von der »Zeit der Kirche«: Damit wird die Endzeit nicht zur Wiederkunft nach einer Pause, sondern Steigerung der jetzt schon gegebenen Gegenwart – eine Gegenwart, die ihren höchsten Ausdruck in der Feier der Eucharistie findet, als Erinnerungsmahl und Verkündigung der Wiederkunft Christi. Auch die neutestamentliche Briefliteratur und die johanneische Tradition finden je eigene Deutungen: »Neue Erfahrungen (der Tod von Gemeindemitgliedern, die über Generationen weiterlaufende Geschichte) wandeln die ursprüngliche Glaubensvorstellung (das endgültige Kommen Christi ereignet sich in unserer Generation); aber der Glaube an die Parusie verwandelt auch die Erfahrung der Geschichte« (Nocke 57).

Zwischen Gegenwart und Zukunft

In der mittelalterlichen Theologie, die in der Neuscholastik seit dem 19. Jahrhundert neu zum Tragen kommt, werden in der Eschatologie Gegenwart und Zukunft wieder deutlich voneinander abgegrenzt. Weltlich-menschliche Aktivität beschränkt sich auf religiöse Werke, die einen Vorteil im Himmel versprechen. Die Rettung der Seele ist das primäre Anliegen; unsere Geschichte ist vor allem eine Zeit der Prüfung. Spuren dieses Verständnisses sind bis heute im Glaubensgut zu finden.
Erst durch die anthropologische Wende in der Theologie des 20. Jahrhunderts wird die präsentische Eschatologie wieder in den Mittelpunkt gerückt. Endzeit als »Tat Gottes muss nicht Abbruch der Menschheitsgeschichte bedeuten«, in Gottes Zukunft ist »die Geschichte der Menschheit ganz und gar aufbewahrt« (Nocke 92). Freude und Leid menschlichen Lebens, die ganze menschliche Geschichte ist demnach nicht einfach wertlos, sondern im ewigen Leben aufgehoben. Hierin liegt auch der Schlüssel für das Verständnis von leiblicher Auferstehung. Auferstehung im Tod bedeutet: Der ganze Mensch stirbt, die Vollendung ist dem ganzen Menschen – und nicht nur seiner Seele – zugesagt. Ewiges Leben ist Leben in Fülle. »Ewig« ist ein qualitativer, kein zeitlicher Begriff; er zeigt gerade das Herausfallen aus der Zeit. Für diesen schwierigen Gedanken hält die Glaubenstradition eine Reihe von Bildern bereit:

  • Der Himmel als Ort der Verbundenheit der Menschen mit Gott.
  • Das Festmahl als Erfahrung des Beschenktseins, Sattwerdens, der Versöhnung, Zuwendung und Freude aneinander.
  • Das Paradies als Ort des Friedens zwischen den Lebewesen.

Diese Bilder sind Bilder der Gemeinschaft und Harmonie; sie weisen darauf hin, dass die Vollendung des Einzelnen untrennbar mit der Vollendung aller verbunden ist.
Der christliche Glaube hat sich jedoch immer wieder mit dem Vorwurf auseinanderzusetzen, der Glaube an das ewige Leben sei eine Vertröstung, er halte Menschen davon ab, sich für Gerechtigkeit in dieser Welt einzusetzen. Dieser Vorwurf beruht auf dem oben angesprochenen Missverständnis einer absoluten Trennung zwischen Diesseits und Jenseits. Das Gegenteil ist der Fall. Gerade die Erfahrung und die Unerträglichkeit des unschuldigen, unabgegoltenen Leides ist Nährboden für die Vorstellung eines göttlichen Gerichtes, das Gerechtigkeit herstellt – ein Gericht aber, das menschliche Vorstellungen von Rache oder Ausgleich übersteigt. Der Glaube an ein ewiges Leben beinhaltet mehr als die Frage der individuellen Existenz im Jenseits. Vielmehr ist sie gemeinschaftlich und auf Gegenwart hin orientiert und sie prägt schon jetzt das Leben.

Wie Kinder Tod verstehen

Marie Nagy hat 1948 in einer klassisch gewordenen Studie das kognitive Todesverständnis von 3- bis 10-jährigen Kindern untersucht (vgl. Schwarz 15):

  • Vom 2. bis 4. Lebensjahr wird die Nonfunktionalität des Todes erfahren.
  • Zwischen dem 6. und dem 7. Lebensjahr wird die Irreversibilität des Todes begriffen, was zu erhöhter Angst vor dem Verlust lieber Menschen führen kann.
  • Später versteht das Kind, dass jeder Mensch einmal sterben muss (Universalität des Todes), bis sich ab dem 10./11. Lebensjahr Jenseitsvorstellungen entwickeln.

Die Altersangaben sind nur eine Orientierung. Eine von uns im Rahmen eines Seminars durchgeführte nichtrepräsentative Untersuchung, in der 90 Schweizer Kinder zwischen 8 und 12 Jahren zu ihren Todes- und Jenseitsvorstellungen befragt wurden, hat ergeben, dass es ihnen nicht schwer fällt, das Jenseits bildlich darzustellen. Jenseitsvorstellungen sind jedoch bei Weitem nicht nur von den kognitiven Möglichkeiten abhängig, sondern von der emotionalen Gestimmtheit. In den Darstellungen der Kinder dominiert der Beziehungsaspekt. Das Jenseits ist der Ort, der von positiven Beziehungen zu Mensch und Tier geprägt ist. Es zeigen sich darin reale Erfahrungen und Wunschvorstellungen von gelungener Beziehung. Die Vorstellungen einiger Kinder sind dualistisch geprägt und wirken angsteinflößend; sie sind meist von der Populärkultur geprägt und nur durch genaue Kenntnis von TV-Kinderserien, Kinderbüchern, Computerspielen u.Ä. zu entschlüsseln.

Ganz unterschiedliche Motivationen können dazu führen, dass Kinder von sich aus das Thema »Tod« anschneiden. Manchmal ist es ein allgemeines Gesprächsangebot, manchmal wollen sie einfach mitteilen, was sie sich Interessantes ausgedacht haben, manchmal ist es als Sachfrage gemeint, manchmal ist das Thema ein Vehikel, um bestimmte Gefühle auszudrücken. In der Kommunikation mit Kindern ist es wichtig, auf diese verschiedenen Motivationen entsprechend zu reagieren: Information, wo Information gefragt ist; keine langen Erklärungen, wenn es um das allgemeine Sprechbedürfnis geht; keine langen Reden, wenn Trösten gebraucht wird.

Jugendliche Reaktionen

1. Tendenz: Synkretistische Nachtodesvorstellungen

Verschiedene Untersuchungen haben ergeben, dass ein Großteil der Jugendlichen (je nach Untersuchung etwa 80 bis 90 Prozent) an ein Weiterleben nach dem Tod glaubt. Dies korreliert zugleich sehr hoch mit dem Glauben an Gott (vgl. Kuld u.a.). Dabei fällt auf, dass eine starke Minderheit (je nach Untersuchung etwa 25 Prozent) keinen Widerspruch zwischen der Wiedergeburt und dem Auferstehungsglauben sieht, sondern beides befürwortet. Gerade der Glaube an eine unsterbliche Seele begünstigt den Synkretismus von Auferstehungsglauben und Wiedergeburt (Kuld u.a. 69).

Typisch für solche Vorstellungen Jugendlicher ist die Aussage des 17-jährigen Ursin, der auf einem Bauernhof aufgewachsen ist und der als Metzger arbeitet: »Die Kälber sind schon herzig (…) meine kleine Schwester Alexandra tut sich manchmal schwer, wenn ihr ein Kalb ans Herz gewachsen ist und sie von diesem Abschied nehmen muss – aber so ist das halt. Das mit dem Sterben hab ich mir auch schon überlegt. Denn es geht ja nicht das Tier in den Himmel, sondern seine Seele, und diese verarbeitet man nicht weiter. Das ist ja auch beim Menschen ähnlich: Die Seele geht in den Himmel und der Körper bleibt im Boden« (zit. nach Demont/Schenker).

2. Tendenz: Negatives wird ausgeblendet

Die gesamtgesellschaftliche und theologische Entwicklung, die Ebertz beschreibt (vgl. dazu seinen Beitrag in KatBl 136(2011), S. 88ff.), gilt auch für Jugendliche: Der Himmel gewinnt gegenüber der Hölle, nicht der strafende, sondern der gnädige Gott wird betont. Die Jugendlichen favorisieren Vorstellungen vom Jenseits, in denen das Leben gut weitergeht (vgl. Kuld u.a. 83).

3. Tendenz: Individuelle Auseinandersetzung

Zwei Drittel der Jugendlichen macht sich »manchmal« Gedanken über den Tod. Ob sie für das Thema im Religionsunterricht ansprechbar sind, hängt von ihrem allgemeinen religiösen und kirchlichen Interesse ab, nicht jedoch davon, ob sie eine entsprechende Erfahrung zu verarbeiten haben. Hier liegt auch die Erklärung für das größere Interesse von Mädchen bzw. jungen Frauen am Thema »Tod« (Kuld u.a. 74). Dieser Befund wird von Steffi Bescherers Untersuchungen bestätigt: »Weder religiöse noch nichtreligiöse Jugendliche sehen einen Sinn darin, sich vorrangig und ständig mit dem Tod um seiner selbst willen auseinanderzusetzen« (Bescherer 117). Wichtig ist den Jugendlichen, einen authentischen, individuellen Weg der Auseinandersetzung zu finden. Auch ist die Tendenz zu beobachten, Dinge vor allem mit sich selbst auszumachen. Die pragmatische Lebenseinstellung der Jugendlichen, die in den Shell-Studien der letzten Jahre beobachtet wurde, zeigt sich auch im Hinblick auf religiöse Fragen.

Eschatologiedidaktische Beobachtungen

Ziele einer Eschatologiedidaktik

1. Therapeutische Absicht: Ziel ist dabei, die Kinder und Jugendlichen bei ihrem je eigenen Umgang mit dem Thema Tod vorbereitend oder bewältigend zu begleiten.
2. Wissensvermittelnde Absicht: Hier kann beispielsweise das Interesse von Jugendlichen an nichtchristlichen Religionen ein Ausgangspunkt zur Klärung der eschatologischen Konzepte in den einzelnen Religionen sein, ebenso deren Rückwirkung auf die Lebensgestaltung und Ethik. Der Synkretismus der Jugendlichen im Hinblick auf Nachtodesvorstellungen ist keine Überraschung. Er lässt weniger auf eine bewusste Wahl oder eine originelle Kombination von Glaubensüberzeugungen schließen als auf mangelndes Wissen über die genauen Inhalte der Vorstellungen. Klare Information ist also angebracht. Insbesondere ist auf das Zusammenwirken dieser Vorstellungen mit dem gesamten Glaubensrahmen zu achten.
3. Ethische Absicht: Beschäftigt man sich mit verschiedenen eschatologischen Vorstellungen, so zeigt sich, dass sich weniger die Lust an der Spekulation als vielmehr Fragen nach der universalen Gerechtigkeit und des Ausgleichs als Motor erweisen.

Alle drei Lernziele sind sinnvoll. Während die beiden erstgenannten in Lehrplänen und Lehrmitteln gut repräsentiert sind, wird der Zusammenhang zwischen Eschatologie und Ethik kaum thematisiert. Dabei kann gerade die Frage von Eschatologie und Gerechtigkeit, also die ethische Dimension ein herausragender didaktischer Anknüpfungspunkt für eschatologische Fragen sein. Wenn Gut und Böse sich nicht so klar voneinander unterscheiden lassen, wenn Tragik im Sinne des unschuldig Schuldig-Werdens ins Spiel kommt, wenn die Erfolgsaussichten guten und richtigen Handelns gering erscheinen, befindet man sich an der Quelle eschatologischen Denkens. Dann stellt sich die Frage nach der universalen Gerechtigkeit für alle. Der christliche Glaube hält aber auch hier wieder eine Zumutung bereit. Ist es wirklich möglich, dass es weder eine Versöhnung auf Kosten der Gerechtigkeit noch eine Gerechtigkeit auf Kosten der Versöhnung geben wird?(Vgl. zu dieser Fragestellung den Beitrag von Ottmar Fuchs in diesem Heft, S. 96ff.) Was bedeutet es, wenn die eschatologische Perspektive auf die Sorge um das eigene Seelenheil beschränkt und die Vision der Gemeinschaft der Heiligen entpolitisiert wird (vgl. Ebertz)?

Schwierige Metaphern

Wenn die Frage nach Tod und Auferstehung mit Kindern thematisiert wird, ist es wichtig, Bilder zu finden, die für Kinder tröstlich sind. In vielen Bilderbüchern bezieht sich diese Metaphorik auf das Vergehen und Werden in der Natur. Theologisch ist diese Metaphorik nicht unproblematisch: Auferstehung hat keine Analogie in einem Naturgeschehen, sie ist beispiellos. Dogmatisch ausgedrückt: Auferstehung ist nicht Natur, sondern Gnade. Der biblische Schlüssel hierzu sind die Erscheinungserzählungen. Weitere oft gewählte Bewältigungsstrategie ist der Verweis auf das Erinnern, auf das Im-Herzen-Behalten der Verstorbenen: »Wir werden dich nie vergessen!« Auch dies ist nicht unproblematisch. Die Erinnerung an einen Verstorbenen nimmt ab, wird schwächer, und das ist auch notwendig für die seelische Gesundung. Und: Was ist mit den Menschen, an die kaum jemand denkt? An den schwierigen Bemühungen um eine nicht nur kindgemäße, sondern auch sachangemessene Metaphorik zeigt sich einmal mehr, welche Zumutungen der christliche Glaube bereithält, Zumutungen, die sich nicht ohne Weiteres elementarisieren lassen.

Problematische Endzeitwelten

Insbesondere bei den christlichen Freikirchen spielen endzeitliche Vorstellungen eine große Rolle. Die Grundbotschaft lautet: »Die apokalyptischen Zeichen sind schon heute deutlich sichtbar.« Und: »Wir gehören zum letzten Abschnitt der Menschheit.« Typisch ist, dass der Satan verobjektiviert wird. Als Beispiel mag die Jugendkirche ICF (International Christian Fellowship) dienen, die verkündet: »Denn der Teufel, euer Todfeind, läuft wie ein brüllender Löwe um euch herum. Er wartet nur auf ein Opfer, das er verschlingen kann« (Stamm 17). Methodisch bietet sich für die Auseinandersetzung mit endzeitlichen Szenarien die Beschäftigung mit Filmen an: Apokalyptische Bilder findet man hier zuhauf. Die Problematik des Filmeinsatzes besteht meist in der Länge solcher (Spiel-)Filme. Wie bei allen Anleihen aus der populären und Massenkultur kann es aber sein, dass gerade die Aktualität und Attraktivität des Mediums einen analytischen Zugang erschwert. Ebenso besteht die Gefahr, dass man die Aussagen des Films zu schnell und für Jugendliche nicht überzeugend gegenüber den »wahren« christlichen Aussagen abwertet.

Fragehaltungen entwickeln – Frag-Würdigkeit erhalten

Wie bei allen religiösen Themen besteht auch hier die Gefahr, Antworten auf Fragen zu präsentieren, die für Kinder und Jugendliche nicht oder noch nicht relevant sind. Deshalb muss gerade im Umfeld des Themas Tod das Vorverständnis besonders sorgfältig abgeklärt werden. Vielleicht wird sich das didaktische Bemühen darauf konzentrieren müssen, vor allem eine Fragehaltung zu entwickeln, Frag-Würdigkeit zu fördern, so etwa die Frage nach der Gerechtigkeit über den eigenen engen Wirkungskreis hinaus. Man wird sich gelegentlich damit abfinden müssen, dass Kinder und Jugendliche nicht die erwünschten Fragen haben. Anders formuliert: Die Zumutung der christlichen Botschaft braucht das brennende Interesse. Auch in Publikationen, in denen eher die therapeutische Absicht leitend ist, wird vor zu schnellen Antworten gewarnt. »Wer mit Heranwachsenden das Thema Tod behandeln will, kann und sollte es nicht in der Absicht tun, endgültige Antworten zu vermitteln (…), sondern (…) das ›Frag-Würdige‹ immer wieder neu zu ermöglichen« (Schwarz 17). Aus diesem Grund ist auch davor zu warnen, den Trost des christlichen Glaubens im Trauerfall zu schnell anzubieten. Denn: Die Überlieferung der Parusiehoffnung ist, wie Nocke schreibt, »nicht die Weitergabe eines fix und fertigen Pakets«, sondern ein Lernprozess, der die neuen geschichtlichen Erfahrungen ebenso braucht wie den entscheidenden Glaubensimpuls des Anfangs« (Nocke 57).