Überall Werte

Heute arbeite ich als Sozialethiker und bin auch politisch engagiert. Überall begegnen mir Werte! Doch sie kommen von Schmuckläden, sind Teil einer Excel-Tabelle oder kommen aus der Welt der Wirtschaft. Für mich als Sozialethiker meinen Werte hingegen innere Motivation und eine Haltung, die mich zum Handeln drängt. Wenn Gerechtigkeit mich als Wert anspricht, dann weil ich gerecht handeln will und Verhältnisse schaffen will, die den Menschen als Menschen in die Mitte stellt.

Wie mit dem Cello!

Dabei bin ich immer wieder mit der Erfahrung konfrontiert, dass ich meine Ideale nicht erreichen kann, häufig sogar belächelt werde und das Gefühl habe, mich umsonst abzumühen. Hier wurde mein Cello für mich eine gute Hilfe. Denn es erinnert mich an den Kern, wie wir Menschen sind.

Menschen können vom Ideal träumen, von der idealen Klasse, der idealen Lektion und der idealen Glaubensweitergabe. Wir träumen vom idealen Lebenspartner oder idealer Gesellschaft und Kirche, kurz vom Paradies! Gleichzeitig stossen wir an unsere Grenzen. Wir wissen, dass wir uns überfordern, wenn wir paradiesische Zustände machen wollten. Beste Vorbereitungen geben keine Sicherheit und angesichts von Machtverhältnissen bleiben all unsere Ideale kaum erreichbar. Diese Grunderfahrung zeigt aber gleichzeitig, dass wir Menschen in unserem Kern daraufhin angelegt sind, mit Spannungen zu leben. Wir sollen lernen, diese Spannungen für das Leben fruchtbar werden zu lassen. Nicht das Erreichen des Ideals ist das Ziel, sondern dass es uns gelingt, aus dem Ideal jene Kraft zu schöpfen, die es möglich macht, die Welt von jetzt und heute zu verändern.

Diese Spannungen verändern sich jeden Tag. So wie ich mein Cello jedes Mal neu stimmen muss, wenn ich zu musiziere beginne, bin ich gefordert, immer wieder herauszufinden, wie ich mit der Spannung zwischen Ideal und Wirklichkeit umgehe.

Im Kleinen wie im Grossen

Als Religionslehrperson kommt noch etwas hinzu. Ich bin mehr als nur ich! Natürlich gestalte ich meine Lektionen und stehe vor der Klasse. Ich lerne in jeder Lektion neu, die richtige Spannung für den guten Ton zu finden zwischen Ideal und Wirklichkeit. Doch ich bin eben auch mehr! Ich repräsentiere eine Kirche und bin auch Teil der Schule. So wie ich unterrichte, wie ich von meinem Glauben erzähle, wie ich auf Schülerinnen reagiere, zuhöre oder spreche – immer gebe ich auch ein Bild davon, wie Kirche ist! Das kann überfordern, aber auch gelassen machen und mich auf die grossen Linien meines Handelns fokussieren lassen.

Wärmen oder Verbrennen?

In meiner Person begegnen Menschen also der Kirche und mein Verhalten zeigt immer auch, wie die Kirche sich in dieser Welt gibt. Ich brauche nicht von „christlichen Werten“ zu reden, denn ich bin ein lebendiges Beispiel dieser Werte – ein Blick auf mein Leben reicht! Ob ich will oder nicht, nehme ich also den christlichen Kernauftrag wahr und gestalte diese Welt mit, bin Licht in der Welt und es fragt sich einfach, ob ich als Licht und Feuer die Welt verbrenne oder wärme.

Auch ohne Macht Einfluss!

Dabei wird mir schnell klar, dass ich allein die Welt nicht bewegen kann – auch nicht die Bildungspolitik. Doch gleichwohl darf ich nicht vergessen, dass ich gerade auch als Religionslehrperson, als sichtbare Präsenz der Kirche und des christlichen Glaubens und Wertgefüges, meinen Einfluss geltend machen darf und auch soll. Es bedeutet zu fragen, was Menschen bewegt und was sie unter Werten, auch christlichen, verstehen; zu erzählen, was uns bewegt und so gerade auch durch meine Präsenz als Religionslehrerin gute Spannung erzeugen, damit unsere Welt zum Wohl wirklich aller Menschen gestaltet wird.