„Hilfe, ich habe in meiner Klasse mehrere Kinder, die Mühe haben, sich verbal auszudrücken!“

Vielleicht kennen Sie diese Situation, und ausgerechnet mit dieser Klasse sollten Sie das Gebet mit den Kindern erarbeiten.

Ob in einer integrativen Klasse oder in einer rein heilpädagogischen Klasse – die Gebärden und Handzeichen lassen sich gut einsetzen und erleichtern allen Beteiligten das Erlernen und Üben des Gebetes.

Entstanden ist das Büchlein aus der Zusammenarbeit zwischen der Stelle Katechetik der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn und der Fachstelle Religionspädagogik der röm.-kath. Landeskirche des Kantons Bern, unter fachlicher Begleitung der diplomierten Heilpädagogin Anita Portmann, die ebenfalls die Sammlung “Wenn mir die Worte fehlen” erstellt hat. Es handelt sich bei «Unser Vater – Vater unser – unterstützt mit Handzeichen und Gebärden» um ein ökumenisches Projekt im Kanton Bern, das auch nach Rücksprache mit der Hörbehindertengemeinde Bern entstanden ist, damit die «richtigen», das heisst eindeutige und passende Gebärden festgelegt werden konnten.

Kommunikation hat viele Facetten

Ausgangspunkt des Gebrauchs von Gebärden ist, dass durch Gebärden und Handzeichen die Kommunikation unterstützt wird bei Menschen, die eine geistige Behinderung haben und sich verbal nicht oder nur mit Mühe ausdrücken können.

Jeder Mensch kommuniziert und grundsätzlich will sich jeder Mensch auch ausdrücken. Denn das «Sich-Ausdrücken-Wollen» ist einerseits eine Mitteilung über mich selber, über meine Meinungen; und anderseits ist es Verarbeitung aller Eindrücke, die wir den ganzen Tag hindurch haben.

Der verbale Ausdruck ist für uns, die wir die Lautsprache beherrschen, eine Möglichkeit unter vielen – die Gebärden und Handzeichen eine Möglichkeit unter vielen für die Menschen, die sich verbal nicht oder ungenügend  ausdrücken können.

Auf der Homepage der Fachstelle können Sie die Gebärden einsehen.

Die Gebärden und Handzeichen sind Hilfen, um dem abstrakten Wort eine bildliche Bedeutung zu geben. Die gewählten Gebärden entsprechen den Gebärden in der konkreten, täglichen Sprache. So wird zum Beispiel «Brot» auch in der alltäglichen Sprache mit dieser Gebärde gezeigt.

Die Gebärden und Handzeichen im Gebet «Unser Vater-Vater unser» sind somit keine «spirituellen Gesten». Die Gebärden unterstützen lediglich die Kommunikation, sie visualisieren die Worte und sie helfen, sich im Gebet zu orientieren.

Wo ist der Einsatz nun sinnvoll?

Einerseits in einer separativen, rein heilpädagogischen Klasse. Anderseits auch in einer integrativen Klasse: Ziel ist es, dass alle das Gebet mit-beten können. Beim Beten mit den Gebärden ergibt sich automatisch, dass die „Sprachgewandten“ langsamer reden und so Rücksicht nehmen, und die «Sprachbehinderten» erhalten die Chance zum Mit-Reden, da sie sich an den Gebärden orientieren können und auch verstehen, was sie beten. So kann die Atmosphäre des «miteinander Betens» entstehen, die zu einem verbindenden und kraftvollen Moment für alle werden kann.

Bemerkungen zur Methodik / Didaktik

  • So wie es wichtig ist, auf den Inhalt der einzelnen Verse sorgfältig einzugehen und mit den SuS einen Austausch zu haben, so ist es ebenso wichtig, die entsprechenden Gebärden einzuführen und auch einzuüben. Das genaue und klare Ausführen der Gebärde ist so wichtig wie eine klare Aussprache der Wörter.
  • Der Austausch mit den SuS über das Beten allgemein, über den Sinn und die Bedeutung des Gebetes ist sehr wichtig. Dadurch werden die Gebärden und Handzeichen auch zum Gebet.
  • Je nach Grad der geistigen Behinderung ist es sinnvoll, die Anzahl der Gebärden zu reduzieren. Demzufolge ist es umso wichtiger, sich im Voraus zu überlegen, welche Gebärden notwendig sind und auf welche verzichtet werden kann.
  • Die Gebärden und Handzeichen zur unterstützenden Kommunikation sind zu einem grossen Teil «klar», das heisst sie sind selbstredend. Vielleicht kann es auch Sinn machen, mit SuS mit Migrationshintergrund, wenn sie noch wenige Kenntnisse der deutschen Sprache besitzen, die Gebärden und Handzeichen als «Übersetzungshilfe» einzusetzen. Wichtig scheint mir hier, diese so lange zu brauchen, wie es die SuS auch wirklich nötig haben.

Diese Sammlung von Gebärden ist nicht dazu gedacht, das Gebet grundsätzlich auf diese Weise zu beten. Wer sich verbal ausdrücken kann, soll sich verbal ausdrücken. Wenn mein Gegenüber eine Sprachbeeinträchtigung hat, setze ich die Gebärden unterstützend ein, damit die Kommunikation besser gelingt und so die Begegnung und die Erfahrung des gemeinsamen Gebetes möglich werden.

Persönlich mache ich die Erfahrung, dass Menschen mit einer geistigen Behinderung die Gebärden sehr aufmerksam wahrnehmen. Viele kennen die Gebärden und freuen sich, wenn wir mit ihnen «in ihrer Sprache sprechen». Und so sind sie auch sehr motiviert, neue Gebärden zu lernen und somit auch das Vater unser – Unser Vater.

Das Ziel des ökumenischen Projekts

Katechetisches Ziel in unseren integrativen, heterogenen oder rein heilpädagogischen Klassen soll sein, dass die SuS das Vaterunser kennen lernen, in der Hoffnung auch, dass das Gebet für sie eine Bedeutung erhält. Eine solch nachhaltige Bedeutung, dass es sie einmal tragen kann. Wie es Heinrich Dickenhoff in seinem Beitrag sehr schön formuliert:

«Auf Dauer wird mich vor allem das tragen, was ich in mir trage….. was ich inwendig weiss. Dazu ist es gut, es auch auswendig zu können.» (Dickenhoff 4).