Ein Prozess beginnt

Es begann ein Prozess – zuerst in mir selber. Ich lernte die Pfarrei kennen: das Team, die Musiker, Pfarreiangehörige und Auswärtige, viele SeniorInnen und auch einige Familien. Mit Erstaunen merkte ich, dass die verschiedenen Familien, die hie und da einen Gottesdienst besuchten, einander kaum kannten. In Gesprächen hörte ich, dass verschiedene Familien die Gottesdienst-Situation zwar nicht als befriedigend wahrnahmen, aber auch keine Veränderung erwarteten, was durchaus verständlich ist. Denn wo man sich nicht zusammentut, tut sich nichts.

So war mein erstes Ziel, dafür zu sorgen, dass sich Familien gegenseitig kennenlernten. Aus vorgängiger Erfahrung wusste ich, dass man dies nicht machen kann, sondern dass es dafür viel Zeit braucht. Ich nutzte möglichst viele Gelegenheiten, mit einzelnen kurz ins Gespräch zu kommen und nahm jede Einladung nach Hause gerne an. Nach einem Jahr lud ich zum ersten Mal selber sieben Familien zu einem Mittagessen ein, um so einen Raum der Begegnung zu schaffen. In den folgenden zwei Jahren gestaltete ich mit ein paar Leuten zusammen alle zwei Monate einen der Sonntagsgottesdienste ein wenig familiengerechter und lud jedes Mal alle Gottesdienstbesuchenden zum anschliessenden Mittagessen ein, ohne Anmeldung. Am Mittagessen nahmen jeweils 80-150 Personen teil.

Der Kairos war gekommen

Im November 2019 schien mir der Kairos gekommen zu sein. Ich lud neun Ehepaare und vier Singles zu einem Gesprächsabend zum Thema Sonntagsgottesdienst ein, bei denen ich mich vergewissert hatte, dass sie offen sind für einen geistlichen Prozess und gewillt, bestehende unbefriedigende Situationen zu verändern.

Wir begannen den Abend mit einem viertelstündigen Gebetsmoment. Danach äusserten sich alle zur Frage, wie es ihnen in den Gottesdiensten in der Hofkirche geht und was sie sich von einem Gottesdienst erhofften. Die neuen Elternpaare waren sich darin einig, dass ihnen die gegenwärtigen Sonntagsgottesdienste nicht das geben, was sie brauchen. Folgende zentrale Punkte wurden als Bedingung genannt, dass ein Sonntagsgottesdienst als gelungen gewertet werden kann:

1. dass man sich auf die anderen BesucherInnen freuen kann (d.h. dass man sich gegenseitig kennt),

2. dass die Kinder gleichberechtigt mit dabei sind,

3. dass nicht ein Gottesdienst aufgeführt wird, sondern dass die Menschen miteinander feiern,

4. dass die Musik den Emotionen der Feiernden entspricht,

5. dass es ein Aha-Erlebnis gibt (d.h. dass einem etwas Neues aufgeht oder berührt) und

6. dass es ein Fest ist.

Die Arbeit begann

An weiteren zwei Abenden besprachen wir, wie wir das Ziel erreichen können, das wir in den sechs Punkten formuliert hatten. Dabei kam es zu einer ersten ernüchternden Feststellung: Dies wird in einem der bisherigen Sonntagsgottesdienste nicht möglich sein. Es braucht also einen neuen Gottesdienst. Sofort stellte sich die Frage: Wo und wann soll dieser stattfinden? In der Hofkirche zwischen den zwei bisherigen Sonntagsgottesdiensten! Auch wenn die Hofkirche architektonisch für Gemeinschaftserlebnisse nicht günstig ist, wollte sich niemand in irgendeinen Saal oder eine Kapelle abschieben lassen. Wie soll die Gestaltung sein? Das wird sich zeigen! Fest stand nur der gemeinsame Entscheid, dass es eine «normale» Eucharistiefeier sein soll. Die konkrete Gestaltung soll improvisiert sein. Sie lebt ja von den Feiernden. Es bildeten sich ein paar Teams: Für die Gestaltung des Raumes, für die Musik, für den inhaltlichen Aspekt, für das davor und danach.

Drei Experimentgottesdienste

Wir entschieden uns, drei Experimentgottesdienste zu feiern: im Januar und Februar 2020. Jedes Mal war es anders und immer sehr improvisiert. Aber alle brachten sich ein und es war jedes Mal ein Fest. Die Gestaltung des Raumes, der Ort des Altars und die Stühle der Feiernden änderten von Mal zu Mal. Die Animation der Lieder übernahmen jedes Mal andere, Erwachsene oder Kinder. Die Gebete und Gedanken zu den Texten wurden zusammengetragen. Das Einsingen und Kaffeetrinken vor dem Gottesdienst und das Spielen und Reden danach waren konstituierende Bestandteile des Gottesdienstes. Von Mal zu Mal kamen Leute dazu. Das dritte Mal waren wir über 50.

Es kam Corona

Am Ende des dritten Gottesdienstes waren sich alle einig. Wir können nicht aufhören. Wir fahren im März weiter. Der Lockdown kam genau auf den vereinbarten Termin. Viele Telefonate hin und her. Was tun? Jetzt erst recht! Wir trafen uns per Zoom. Und ab da jeden Sonntag. Eine halbe Stunde Gebet, Austausch, Singen und danach Spiele mit den Kindern am Bildschirm. Die Gemeinschaft wuchs und jedes Mal war es ein Fest, sich am Bildschirm zu grüssen.

Kinder und Erwachsene feiern in demselben Raum

Nach dem Lockdown führten wir unsere Gottesdienste real in der Kirche fort, jeden Sonntag. Es war inzwischen undenkbar, darauf zu verzichten. Es war eine Gemeinschaft entstanden, die sich danach sehnte, sich nach einer Woche wieder zu sehen. Die Coronamassnahmen zwangen uns, vorübergehend in einen anderen Raum zu ziehen, der aber sehr gemeinschaftsfördernd war. Zur gleichen Zeit hatten wir das Glück, dass eine neue Pastoralassistentin zu uns stiess, die viel Erfahrung hat und die Hauptkoordination für den laufenden Gemeinschaftsprozess übernahm. Inzwischen ist die Gemeinschaft auf über 100 Personen angewachsen, die sich an den Sonntagen zu 50 treffen, davon zwischen 20 und 30 Kinder. Die Grösseren sind involviert beim Ministrieren, Kinderprogramm, Singen oder in Gesprächsgruppen, die Kleineren beim Basteln und Flüstern in der Mitte der Kirche, was zum Erstaunen aller niemanden stört, da sie sichtbar Teil der Gemeinschaft sind.

Kommende Schritte

Ab Mai 2021 stehen nun weitere Schritte an. Ein Kernteam soll gebildet werden, das die gesamte Verantwortung in verschiedenen Ressorts übernehmen soll. Die Planung für die Zeit nach Corona (ohne Beschränkung auf 50 Personen) soll angegangen werden. Die Frage stellt sich: Soll ein Grossgottesdienst mit weit über 100 Personen entstehen oder mehrere kleinere oder… Der nächste Prozess steht bereits vor der Tür.