Vorgeschichte

Von der grossen Arbeiterpfarrei St. Joseph mit mehreren Sonntagsgottesdiensten in einem Kirchenraum mit über 1000 Sitzplätzen blieb im Laufe der Jahrzehnte eine Gottesdienstgemeinschaft von 30-50 älteren schweizerdeutschsprachigen Personen übrig. Daneben wurde in den 90-er Jahren, nicht ohne Spannungen, dank einem sozial-charismatisch ausgerichteten Team eine wachsende diakonische Arbeit unter Flüchtlingen, Migranten, randständigen Schweizern und Sanspapiers aufgebaut.

Einschulung

Als ich in dieser Gemeinde 2003 meine Tätigkeit aufnahm, war für mich die spezifische soziale und interkulturelle Umgebung Neuland. Als erstes ging ich bei der Sozialarbeiterin in die Schule und lernte eine neue Welt kennen: die Welt der Armut in der Schweiz. Eine Welt voller Reichtümer und enormer Herausforderungen! Hausbesuche in überfüllten Wohnungen, Wohnungssuche für Papierlose, Gerichtsverhandlungen, Häusliche Gewalt, rauschende Feste, politische Aktionen, unbändige Freude über eine Aufenthaltsbewilligung, Verzweiflung bei einer Abschiebung, Gefängnis für Menschen, die nichts Kriminelles getan haben, bisher nie erlebte Gastfreundschaft und Grosszügigkeit… Ich bekam einen neuen Blick für die Menschen und somit für das, was Kirche ist.

Erste Schritte

Über die Kinder lernten wir die Eltern besser kennen. Das Vertrauen wuchs und immer öfters wagten auch Nichtschweizer den Schritt zu den Gottesdiensten und Pfarreianlässen. Es kam vermehrt zu vorsichtigen Begegnungen zwischen Einheimischen und Zugewanderten. Pfarreifeste waren willkommene Gelegenheiten, Grenzen zu überwinden und die Reichtümer der verschiedenen Kulturen zu entdecken.

Erstes grosses Projekt

2006 schien uns der Moment gekommen zu sein, ein erstes grosses Projekt zu starten: Eine Pilgerfahrt ins Heilige Land. Zwei Jahre Vorbereitung folgten: Menschen motivieren und einladen, Geld sammeln, damit jede und jeder mitkommen kann – auch wer kaum bezahlen konnte, Visen organisieren, Programme vorbereiten, Vorbereitungstreffs. 2008 flogen 160 Menschen (davon 50 Kinder und Jugendliche) mit über 20 verschiedenen Nationalitäten nach Palästina/Israel und feierten dort Ostern. Der Jüngste war 1 Jahr alt, der älteste 85. Die zwölf Tage gemeinsamen Lebens stärkten die Gemeinschaft zwischen Generationen und Menschen mit unterschiedlichster Lebensgeschichte.

Vertrauen wächst, Vorurteile werden relativiert

Es begann ein langer Weg. Die unterschiedlichsten Menschen lernten sich persönlich kennen und sogar etwas schätzen. Das Interesse für das Leben der andern wuchs. Es entstanden mehrere Kleingruppen, die sich vierzehntäglich in privaten Wohnungen trafen, um über das Leben und den Glauben zu reden. 2010 reisten 100 Menschen aus der Pfarrei nach Bosnien und Kosovo, um ihre Geschwister aus dem Balkan besser zu verstehen, die inzwischen in der Pfarrei einen beträchtlichen Anteil der Menschen ausmachten.

Eigeninitiative wächst

Inzwischen begannen einzelne Personen oder Gruppen eigene Projekte zu entwickeln. Als Grundprinzip galt: Wer etwas entwickeln möchte, wird unterstützt mit Wertschätzung, Benutzungsrecht der Räumlichkeiten und so weit möglich mit Spesenentschädigung. So entstanden ein Familienchor, ein Kinderchor und Jugendchor, ein Massagezimmer zu Gunsten eines Projekts in den Philippinen, ein kleines Restaurant zur Integration von Flüchtlingen, eine Nähstube, die Essensausgabe, die englischsprachige Gemeinschaft, der Kindertreff, eine Partnerschaft mit dem Kosovo und andere mehr.

Gemeinschaft über die eigene Welt hinaus

Ein wichtiger Schritt für das Selbstverständnis der Gemeinde war der Kontakt zur muslimischen Gemeinschaft im Stadtviertel: Wir leben nicht für uns selber, sondern haben einen Auftrag für die Gemeinschaft unter allen Menschen. In Kleinbasel leben etwa gleichviel Muslime wie Katholiken. So war es naheliegend, miteinander Kontakte zu pflegen. Nach ersten gegenseitigen Besuchen in der Moschee bzw. Kirche, kam es zu geselligen Anlässen, Fussballturnieren und Teilete. Danach wurden Gesprächsrunden über das tägliche Leben und den Glauben organisiert. Es folgten grössere Begegnungstage mit Spiel, Gespräch und Diskussionen. Schliesslich entstanden regelmässige gemeinsame Feste und eine stabile gemeinsame Gesprächs- und Initiativgruppe.

Ein Zeichen für die Stadt

Die Kirche St. Joseph wurde so im Laufe der Jahre zu einem Zeichen, das wahrgenommen wurde. Sie stand für gegenseitige Integration. Im Kleinen wurde ansatzweise möglich, was man sich für die Gesellschaft erhoffen würde: Jeden Sonntag trafen sich hier Menschen 50 verschiedener Nationalitäten, aller Generationen und Schichten sowie mit unterschiedlichstem Aufenthaltsstatus. Muslimen und Christen teilten sich für den Religionsunterricht und das Gemeindeleben die gleichen Räume. Menschen in Not fanden hier Zuflucht, Unterstützung und Freunde.