Warum musste Jesus sterben?

Bevor wir auf diese Frage antworten, müssen wir zunächst etwas anderes klären: Muss der Tod Jesu überhaupt einen theologischen Sinn haben? Menschen kommen bei Unfällen ums Leben, fallen Gewalttaten zu Opfer. Sie erliegen schweren Krankheiten, sterben an Erschöpfung oder ertrinken auf der Flucht im Mittelmeer. Der gewaltsame Tod von Menschen ist immer ein Übel. Muss der Tod Jesu theologisch gedeutet werden? 

Wir nähern uns einer Antwort auf diese Frage, indem wir wahrnehmen, dass auch die christliche Kirche erst nach einer Deutung des Todes Jesu suchen musste. 

Wie fand die frühe christliche Gemeinde eine Antwort?

Für die Menschen, die in dem jüdischen Prediger Jesus einen Propheten sahen, war seine Hinrichtung nämlich zunächst ebenfalls eine Katastrophe. Warum musste ein Mensch, der durch seine Worte und Taten große Hoffnungen geweckt hatte, so schmerz- und schmachvoll sterben? Vielleicht hatte sich Gott von ihm abgewendet? Durch die visionären Begegnungen mit dem Auferstandenen, die viele Menschen unabhängig voneinander erlebten, schied diese Deutung aber aus. So entdeckte die junge christliche Gemeinde einen Sinn in Jesu Leiden und Sterben, in dem sie ihre Bibel, das heutige Alte Testament las. Dort fand sie Antworten. Welche Antwort war das?

Sie las das (vierte) Knecht-Gottes-Lied in Jesaja 53. In diesem prophetischen Text ist von einem Menschen die Rede, der als Märtyrer grausam getötet wurde. Seine Zeitgenossen schlossen aus seinem Schicksal, dass er vor Gott schuldig geworden sein musste. Der Prophet widersprach. «Die Strafe lag [deshalb] auf ihm, damit wir Frieden hätten (Jes 53,5).» Der Leidende war kein Sünder, sondern jemand, der ähnlich einem Blitzableiter Menschen vor Unheil bewahrte, indem er es auf sich zog.

Diese Deutung eines Märtyrertodes aus dem Alten Testament bezogen die Christinnen und Christen auf Jesus. So erklärt Philippus einem reisenden Afrikaner (Apg 8,35): «Philippus … fing mit diesem Schriftwort [Jes 53,7 f.] an und predigte ihm das Evangelium von Jesus.»
Damit hatte die christliche Kirche die Deutung gefunden, die sich bis heute in der gottesdienstlichen Liturgie wiederfindet: «Dies ist mein Leib für euch» (1 Kor 11,24).

Er starb «für uns», aber es war kein Sühnopfer

Eine Abgrenzung ist aber noch nötig: Nirgends findet sich in der Bibel die Vorstellung, dass der Gottessohn mit seinem Leiden und Sterben ein Opfer gebracht hat das der Gottvater verlangt hatte. Es bedarf nicht vieler Worte, um die Problematik dieser These zu veranschaulichen. Sie verrechtlicht die Beziehung Gottes zu den Menschen und knüpft seine Gnade an den Tod eines Menschen, noch dazu an den seines einzigen Sohnes. Am schwersten wiegt aber der Widerspruch zum Gottesbild der Bibel, dass Gott «gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Güte (Jona 4,2)» ist. Die Liebe Gottes zu den Menschen hängt nicht daran, dass Jesus stirbt.

Die Aufgabe des Religionsunterrichts: Die Suche einer christlichen Antwort

Für den Religionsunterricht empfiehlt sich nun, die gleiche didaktische Straße zu gehen, die auch die erste christliche Gemeinde ging. Sie war traurig und hoffnungslos angesichts des Todes ihres Meisters. Und fand doch einen Sinn in diesem tragischen Geschehen. Sicher diskutierten sie, wenn sie zusammenkamen, und fragten sich, ob die Worte des Propheten wirklich auf Jesus anzuwenden seien. Religionslerngruppen können wie sie theologisieren und nach eigenen Deutungen suchen. Dabei denken sie auch über das Knecht-Gottes-Lied nach. 

Die biblische Deutung des Todes Jesu will nicht unüberlegt memorisiert und wiedergegeben werden. Sie will verstanden, abgewogen, angeeignet, modifiziert, in eigene Worte gekleidet oder (zunächst) zur Seite gelegt werden. Zum Ende kommen wir mit dieser Frage vielleicht nie.