Als erwachsene, langjährig erfahrene Religionslehrer:innen haben wir uns gemeinsam darauf eingelassen, uns selbst bewegen zu lassen. Im Rollenspiel, in Bewegungsliedern oder in Symbolspielen, als wir zum Beispiel wortwörtlich zwischen den Stühlen saßen. Auf diesem Hintergrund der Selbsterfahrung war es möglich zu entscheiden: “Welche leiblich-bewegte Gestaltung spricht uns als Pädagog:innen an und was passt zu uns?” “Was kann ich für meine berufliche Arbeit mitnehmen, umsetzen, verändern, gestalten?”

Bewegter Religionsunterricht bezieht sich auf Bewegung im christlichen Glauben. Jesus war unterwegs mit Menschen, die sich ihm anvertraut hatten. Er residierte nicht dauerhaft in einem Lehrhaus. Es gab kein örtliches Zentrum, in dem er seine Gefolgschaft unterrichtete.

Dass Jesus unterwegs war durch Städte, Dörfer, Felder oder übers Wasser, hatte Folgen. Es ergaben sich unerwartete Begegnungen, stetig öffneten sich wechselnde Perspektiven, Widerfahrnisse wie Unwetter konnten hereinbrechen, Einsamkeit wechselte mit Menschengedränge.

Diesen Bewegungen waren seine Jünger und Jüngerinnen mit ausgesetzt. Sie reagierten vertrauend, oft aber auch überheblich und sich selbst überschätzend, zweifelnd und manchmal auch lieblos. Dabei erfuhren sie durch Jesus neue Wertungen, neue Einblicke, – sie lernten, lieblose Grenzen zu überwinden und sie kehrten um von überkommenen festgelegten Bahnen.

„Kehrt um und vertraut der guten Botschaft.“ So hat es Jesus verkündet. Damit kann nichts mehr so bleiben, wie es ist. Und was ist diese gute Botschaft, die zur Gegenbewegung aufruft, – zur Umkehr aus festgefahrener Macht und Ausgrenzung, die das Leben der Menschen beherrschen? Jesus verdichtet seine gute Botschaft in seinem Gleichnis vom barmherzigen Vater, der dem zerlumpten Versager entgegeneilt, ihn in die Arme schließt und diesem immer grenzenlos geliebten Kind ein Fest gibt.

Bewegter Religionsunterricht geht den Spuren von Bewegungen nach, die in der Geschichte Gottes mit den Menschen zu finden sind, – in der Bibel, in der Menschheitsgeschichte und im gegenwärtigen Alltag. Im Unterricht inszeniert und erlebt, können sich dabei neue Perspektiven öffnen und die Orientierungssuche kann ganz neue Impulse erfahren.

Und so haben wir uns auf dieser Tagung mit den Schuldverstrickungen und der Befreiung durch Gottes liebende Vergebung be-fasst, sind mit diesem Thema um- gegangen und haben uns damit auseinander-gesetzt. Im kinästhetischen und damit verbunden im kognitiv-affektiven Sinne.

Die Beziehungen, die wir zu Gottes Schöpfung und seiner Liebe leben, haben wir durch Verbindungen mit bunten Kreppbändern gestaltet. Zu Musik sind wir in dieser Vernetzung in Bewegung geraten und haben die Bänder weiterhin zwischen uns geschlungen.

Was aber, wenn diese Beziehungen, diese Verbindungen, durch Unachtsamkeit zerreißen? Oder wenn sich unauflösbare Verknotungen ergeben? So finden wir einen Zugang zum biblischen Schuldbegriff, der eine Beziehungsstörung meint: Zwischen Menschen und zwischen Gott und Mensch. Der Unterschied zur juristischen Schuld, die einen Verstoß gegen eine Verordnung meint, ist uns deutlich geworden, als wir zuvor einen Verkehrsunfall mit anschließender Gerichtsverhandlung im Rollenspiel spontan aufgeführt haben.

Wie aber gehen Menschen um mit verschuldeten Beziehungsstörungen? Wie reagieren wir, wenn wir jemanden verletzt oder gekränkt haben? Auch dem haben wir nachgespürt im spontanen Spiel. Wie drückt sich das aus, wenn wir die Schuld anderen in die Schuhe schieben? Wie zeigt es sich, wenn man die Schuld vertuschen und sich davonstehlen will? Wie ist es, wenn man die eigene Schuld verharmlost und den Schaden lächerlich macht? Und wie gefährlich ist es, für die eigene Schuld einzustehen und verletzlich dafür geradezustehen?

Wir haben unsere eigene Körpererfahrung mit Papierfiguren nachgestaltet, die sich ins Heft einkleben und beschriften lassen:

Steht man für die eigene Schuld ein, ist die Leibmitte ungeschützt. Jemandem, dem man vertraut, kann man so gegenübertreten, um die eigene Schuld einzuge-stehen.

Gott, von dem Jesus als dem überfließend barmherzigen Vater erzählt, dem kann man ungeschützt eigene Schuld bekennen. Das Gleichnis Jesu hat uns mitgenommen mitten hinein in seine Erzählung:

Ein Bündel Geldscheine als jahrelang schwer erarbeitetes Vermögen haben wir uns im Spiel als Erbe auszahlen lassen. Um diesem Wert gerecht zu werden, war uns klar:  Das sollte so eingesetzt werden, dass man fürs ganze Leben etwas davon hat. Für eine Ausbildung, für Immobilienbesitz oder für seriöse Aktien. Dann haben wir uns einen Ruck gegeben, das alles zu verprassen. “Man gönnt sich ja sonst nichts.” Es war fast unmöglich, die verantwortungsvollen Pädagog:innen zu Leichtsinn zu verführen. Aber für ein versprochenes Sabbatjahr oder einen regelmäßigen Putztrupp für zuhause gelang es dann doch. Kinder lassen sich meist leichter darauf ein, im Spiel ihr Geld für ein Pferd oder ein neues Computerspiel oder ein Trampolin auszugeben.

Im Nachsinnen der Situation des “verlorenen Sohnes”, der alles Erbe leichtsinnig verschleudert und in der plötzlichen Hungersnot keine Reserven mehr hatte, saßen wir auf einem schwarzen Tuch. Dort haben wir uns die elende Situation des jungen Mannes in der Gosse, im Schweinestall, bewusst werden lassen.

Nach schwerem Ringen überwindet sich der Elende, fasst sich ein Herz und macht sich auf, als Knecht bei seinem Vater anzufangen. Mit ihm sind wir aufgestanden und haben uns mit langsamen Schritten auf den Weg gemacht. Bis wir plötzlich hören, dass der Patriarch, der Vater, auf uns zu eilt. Um den Sohn zu schlagen, zu verjagen? Nein! Um den Sohn in die Arme zu schließen.

Und schon ist vor uns ein Tuch auf dem Boden ausgebreitet. Kekse werden darauf angerichtet und wir sind eingeladen, mit dem Sohn und der ganzen Hausgesellschaft zu essen, zu feiern, uns zu freuen und zu singen:

“Singt dem Herrn und lobt ihn, Halleluja, lobt ihn.

Singt dem Herrn und lobt seinen Namen,

preiset ihn in Ewigkeit, Amen.

Der dir alle deine Sünden vergibt,

der deine Schuld dir nimmt, weil er dich liebt

und der dein Leben vom Verderben erlöst,

lobet ihn!”

Ins Heft gestaltet zeigt sich der Weg von den dunklen Tagen hin in die Arme des Vaters:

Im weiteren Verlauf des Tages haben wir gespielt, reflektiert und diskutiert: wie diese bewegten Gestaltungen christlicher Erzählungen den Alltag berühren, wie wir die Bewegung im Inhalt aufspüren und inszenieren können und welche Schwierigkeiten oder Chancen sich dabei ergeben können. Äußerlich und innerlich bewegt sind wir wieder auseinandergegangen, um in unsere reiche religionspädagogische Erfahrung unsere neuen bewegten Erlebnisse einfließen zu lassen.

Literatur

Buck, Elisabeth: Bewegter Religionsunterricht. (1997) 5. Aufl.. Göttingen 2010.

Buck, Elisabeth: Kommt und spielt, Band 1 – Bewegter RU im 1. und 2. Schuljahr. (1999) 3. Aufl.. Göttingen 2004.

Buck, Elisabeth: Kommt und spielt, Band 2, – Bewegter RU im 3. und 4. Schuljahr. Göttingen (2001), 2. Aufl. 2004.

Buck, Elisabeth: Bewegter Religionsunterricht: Bewegung/Pantomime/Tanz/Symbolspiel. In: Gottfried Adam / Rainer Lachmann: Methodisches Kompendium für den Religionsunterricht Band 2, S. 209-222. Göttingen 2010.

Buck, Elisabeth: Neuland betreten – Bewegter Religionsunterricht im 7.-9. Schuljahr. München 2011.

Buck, Elisabeth: Bewegter Religionsunterricht im 5. bis 7. Schulj. München 2017.